von Elke Steiner
Heute früh bist du eingeschlafen. Hast du heute beschlossen zu gehen oder beschließt das eine höhere Macht? Wir konnten uns die letzten Tage alle noch von dir verabschieden. Schön, dieses getan zu haben und so traurig zugleich. In einem Monat wärst du 90 geworden. Ein langes Leben hinter dir.
Früher hast du mir vorgelesen und bist immer vor mir eingeschlafen, dafür hast du später meinen Kindern stundenlang vorgelesen und sie im Kinderwagen kutschiert. Nie warst du auf mich böse, obwohl du wusstest, dass ich es war, die immer von deiner geheimen Schokolade „gekostet“ hat. Als sie aus war, hast du so ganz nebenbei in mein Ohr geflüstert, dass das Versteck wieder neu befüllt sei.
Dein ruhiges Wesen hat uns allen immer so gutgetan. Wir beide haben uns blind verstanden. Schlechte Noten in der Schule, für dich nie ein Problem, Maturastress, ein langer Spaziergang mit dir in der Natur und alles war gut.
Du hast mir die Angst genommen vor der Dunkelheit, dein Humor, deine bedingungslose Liebe und dein Glaube an mich haben mir über manchen steilen Berg im Leben geholfen.
Ich erinnere mich gerade an die Zeiten, wo du allein zu Hause warst und Mama auf Kur war. Deine Kochkünste waren bekanntlich sehr beschränkt. Aber deinen geliebten Polenta, hast du gelernt zuzubereiten. Auf meine Frage, was du so ißt alleine sagtest du stolz „Na, Polenta mit Kaffee!“ Ich meinte, du könntest doch nicht immer dasselbe essen. Darauf du: „Ich mach’ mir doch jeden Tag etwas Neues. Gestern gab es Polenta mit Marillenmarmelade, heute gibt es Polenta mit Schwarzbeermarmelade und morgen gibt es Polenta mit Erdbeermarmelade! „. Tante Christl hat dich mit frischen „Powidl-Buchteln“ verwöhnt und bei deinem Freund Walter gab es deftiges Kirschmus auf der Radl Hütte. Mutters Kur war Urlaub pur!
In dieser Zeit, allein zu Hause, warst du wirklich du. Ich habe gesehen, wie sehr du genießen kannst und wie du mit dem, was ist, zufrieden bist. Alle Zeit nur für dich allein. Ewig langes Beobachten der Vögel im Garten, in ihren von dir gebauten Nistkästen, dazwischen dein gelobtes Nickerchen. Du warst ein sehr zufriedener Mensch. An schlechten Tagen bist du auf in den Wald, manchmal noch spät abends, danach kamst du befreit und erholt wieder nach Hause. Deine Liebe zur Natur und den Sinn für Umweltschutz hast du mir vererbt, und wahrscheinlich auch den Humor, das Genießen und die Freiheitsliebe. Du hast dich nie verstellt, warst keine Fassade, immer echt und aufrecht. „Wer genug hat, kann auch teilen!“ klingt als einer deiner Leitsätze noch in meinen Ohren.
Als der Nebel in deinen Kopf Einzug nahm und du Realität und Vergangenes nicht mehr richtig ordnen konntest, habe ich begonnen, dir unsere Geschichten zu erzählen, die wir erlebt haben. Nun habe ich für dich Grimassen geschnitten und dich zum Lachen gebracht. Nun war ich es, die dir den Kopf gestreichelt hat und gesagt hat, dass alles gut wird. Ist es vielleicht das, wovon man sagt, im Leben kommt alles zurück?
Papa, du fehlst!
© Elke Steiner 2019-08-23