von Aulona Demolli
In einer albanischen Familie aufzuwachsen bedeutet im Alltag oft Sprichwörter zu hören. Meine jüngeren Brüder und ich wuchsen in Deutschland zweisprachig auf, daher konnten allen Sprichwörtern unserer Eltern folgen. Im Kindergarten nahmen wir nur Deutsch wahr und zu Hause nur Albanisch. Einen Spruch, der mich als kleines Mädchen, sehr verwirrte, hörte ich jedes Mal am Esstisch, wenn einer von uns Kindern sich aus Versehen auf die Zunge biss und es wehtat. Meine Mutter reagierte tröstend sofort mit folgenden Worten:
„Dein Onkel bringt dir Gurabija!“
„Was sind Gurabija?“, begann ich neugierig zu fragen.
„Das sind selbstgebackene albanische Kekse“, antwortete meine Mutter.
„Und der Onkel wird wirklich kommen und uns albanische Kekse bringen?“, fragte ich verwundert. Meine Mutter nickte nur lächelnd. Doch der Onkel kam nicht. Mich hatte diese Aussage meiner Mutter so sehr beschäftigt, dass ich sogar meine Oma darauf ansprach, als mir meine Eltern kurz den Telefonhörer ans Ohr reichten, als sie mit ihr telefonierten.
„Oma, Mama hat gemeint, dass der Onkel uns Gurabija bringen wird, aber er ist gar nicht gekommen!“, erzählte ich ihr enttäuscht. Ich hörte, wie sie auflachte und liebevoll erwiderte: „Wenn ihr uns im Kosovo besuchen kommt, werde ich dir ganz viele Gurabija backen!“
Daraufhin stellte ich meine Mutter zu Rede, warum sie sagt, dass ihr Bruder mit den albanischen Keksen kommt, wenn dem gar nicht so ist. Sie amüsierte sich darüber, mich so gereizt zu sehen, und erklärte, dass ihre Eltern das auch zu ihr gesagt haben, als sie klein war uns sich beim Essen mal auf die Zunge gebissen hat. Sie hat es einfach so von ihren Eltern übernommen. Dann begann sie mir zu erzählen, dass ihre Mama wirklich leckere Gurabija zubereitet. Sie begann in Erinnerungen zu schwelgen und erzählte mir Geschichten über ihre Kindheit und ihre Geschwister, wie sie zusammen im Garten bei der Oma gespielt haben, und wie sie die Apfel- und Kirschbäume im Sommer hochgeklettert sind, um die Früchte zu pflücken. Diese Apfel- und Kirschbäume im Garten meiner Oma wollte ich auch immer sehen. Umso mehr, nachdem mir Oma versprochen hatte, selbst die albanischen Kekse zuzubereiten. Es sollten einigen Jahre vergehen, bis ich mich tatsächlich an einem heißen Sommertag im Garten am Tisch meiner Oma sitzend sah. Meine Oma kam aus dem Haus und brachte Tablet mit zwei Gläsern mit Schwarztee und die warmen wohlriechenden frischbackenen Gurabija. Ich strahlte vor Freude und war gerührt, dass sie ihr Versprechen in der Tat ernst genommen hatte. Die ersten Bissen lösten ein wohliges Gefühl in mir aus. Die Gurabija schmeckten nach all den nostalgischen Kindheitsgerinnungen meiner Mutter im Kosovo.
© Aulona Demolli 2024-08-30