von Gerhard Maier
Vor vielen Jahrzehnten kam ich in Salzburg als „Italiener“ auf die Welt. Die Familie meiner Mama hatte im 2. Weltkrieg Südtirol verlassen, die Großeltern hatten sich gegen das Bleiben in Italien entschieden und für Deutschland optiert. Zum Zeitpunkt meiner Geburt hatte meine Familie die italienische Staatsbürgerschaft und so war auch ich ein „kleiner Italiener“. Noch im Spital erschien mir eine Tiroler Hexe mit einem Fluch auf den Lippen: „Kleiner pass auf, du bist da in Salzburg, du darfst nur Deutsch sprechen, auf keinen Fall Italienisch. Redest du Italienisch, werden dir die Haare ausgehen“.
Zu Hause dann, im selbst gezimmerten Behelfsheim, wurde ohnehin nur Tirolerisch und Pongauerisch gesprochen. Italienisch hörte man von Opa höchstens beim Fluchen: „Ostia!“ Der Opa mit blauem Schurz war der Tata, ich war das Biabl. Gegessen wurde Tiroler Kost wie Knödel, Schlutzer, Gröstl, Muas, Plentn (Polenta), ab und zu Makkaroni. Speck und Vernatsch waren in der Speisekammer für besondere Anlässe vorrätig.
Bei meiner Geburt war die Integration der in Salzburg gebliebenen Südtiroler schon weit fortgeschritten. Von den ursprünglich 5.700 Auswanderern werden an die 4.000 geblieben sein. Es war Aufbruchstimmung in Österreich. Mama, Onkel und Tanten waren jung und tatkräftig, die Sprache stellte keine Barriere dar. Die Jungen hatten nach anfänglichen Schwierigkeiten in den ersten Jahren längst Anschluss gefunden, neue Familien wurden gegründet. Die Alten blieben oft unter sich, der Südtirolerverband bot ihnen eine willkommene Anlaufstelle. Opa war manchmal wehmütig wegen der verlassenen Geschwister in der Südtiroler Heimat. An ein Zurückgehen war aber nicht mehr zu denken, die Familie hatte hier Fuß gefasst und entwickelte sich prächtig. Bald waren wir österreichische Staatsbürger.
Die Südtiroler von damals sind heute in der Salzburger Bevölkerung aufgegangen, äußerlich und sprachlich sind sie nicht als solche zu erkennen. Einige Familiennamen erinnern an den Tiroler Ursprung: Überbacher, Kaserbacher, Robatscher, Steckholzer, Kuppelwieser, Girardi, Dellago, Davare, Vinatzer, Forcher und wie sie alle heißen.
Die Südtirolerverbände versuchen die Erinnerung an die alte Heimat aufrecht zu erhalten. Die Trachten der Südtiroler Talschaften werden bei festlichen Anlässen stolz präsentiert. Wir fühlen uns sehr wohl in unserem Salzburg, es ist unsere Heimat. Sie hat wohl viele Ähnlichkeiten mit Südtirol, der Landschaft und den Menschen. Oft urwüchsig und schroff, geschäftstüchtig, aber meist authentisch, vielfach auch herzlich. Salzburg und Südtirol sind gut in Europa verwurzelt. Die Wege sind kurz und frei geworden, der Austausch unter den Nationen ist stark.
Als geborener „Italiener“ muss ich hie und da ein paar Brocken Italienisch reden. Es fällt mir nicht schwer. Aber, wie mich die Tiroler Hexe vor Jahrzehnten gewarnt hat, gehen mir tatsächlich schön langsam die Haare aus.
© Gerhard Maier 2019-12-15