Otto-Bufonto-Straße

Erdmann Kühn

von Erdmann Kühn

Story

Vom normalen Musikunterricht bekommt Friedel nicht allzuviel mit, weil sein Kopf mit wichtigeren Dingen beschäftigt ist. Mit Musik zum Beispiel. Er freundet sich mit Andreas an, der klassischen Gitarrenunterricht hat. Friedel hat Cellounterricht, Gitarre hat er sich von seinem Bruder zeigen lassen, nicht die Noten, nur die Akkorde. Er kann alle möglichen Lieder spielen und begleiten, und er kann improvisieren. Das bringt er Andreas bei. Einer spielt eine Akkordfolge, der andere erfindet Melodien dazu. Sie nehmen die Gitarren sogar mit aufs Ruderboot auf dem Heiligensee, lassen sich treiben und machen Musik.

Eine zweite Leidenschaft verbindet die beiden: Sie machen gerne Wortspiele und zeichnen. Bei seinen wöchentlichen U-Bahnfahrten zum Cellounterricht in Zehlendorf hat Friedel etwas entdeckt, das sich besonders in Zehlendorf auszubreiten scheint: Das Otto-Bufonto-Fieber. Kleine Kritzeleien überall mit einem Glatzkopf, der nur halb zu sehen ist. Darunter stehen Sprüche wie Otto Bufonto sieht alles! oder Otto Bufonto schläft nicht!

Sofort haben Friedel und Andreas den Ehrgeiz, Otto Bufonto auch im Berliner Norden zu etablieren. Sie entwerfen eine Otto-Bufonto-Zeitung, die sie in der Oberschule aushängen. Sie verteilen Flugblätter: Otto Bufonto übernimmt die Weltherrschaft! Den Höhepunkt des Propagandafeldzuges stellt aber die abendliche Umbenennung der Fellbacher Straße in Hermsdorf dar. Sie haben alles akribisch ausgemessen und weiße Klebefolie besorgt und zugeschnitten. Andreas hat eine schöne Schrift und einen wasserfesten schwarzen Edding. Sie trinken jeder eine Flasche Schultheiß Bier, um sich Mut zu machen.

Andreas gibt Friedel die vorbereitete Folie und macht Räuberleiter. In dem Augenblick kommt ein Auto den Hermsdorfer Damm hoch. Mist! Die Jungs springen hinter einen dicken Baum. Polizei! Die Folie in Friedels Händen fängt an zu zittern. Die Polizisten schauen herüber, fahren aber langsam weiter. Die beiden gehen über die Straße zur Haltestelle, als würden sie auf den Bus warten. Die Polizei kommt aber nicht wieder.

Inzwischen hat es auch aufgehört zu nieseln. Jetzt oder nie, neuer Versuch! “Achte darauf, die Folie richtig herum anzukleben!” – “Glaubst du, ich bin ein Volltrottel?“ – “Genau!” Der Anfang ist am schwierigsten, aber als das erste Stück klebt, geht alles wie von selbst. Das Schild passt perfekt. Es leuchtet richtig in der Dunkelheit. Die Fellbacher Straße heißt ab sofort Otto-Bufonto-Straße!

Am nächsten Morgen sind beide sehr früh vor der Schule. Sie wollen die Reaktionen der Mitschüler und Passanten beobachten. Zu ihrer großen Enttäuschung gibt es kaum eine Reaktion. Aber bis zur Mittagspause hat sich die Umbenennung herumgesprochen. Alle Schüler laufen raus, kichern, ein Lehrer macht Fotos. Auf Lehrernachfrage, wer das war, halten die Schüler dicht. Die Klassenlehrer der beiden, die sich denken können, von wem die Idee stammt, ebenfalls.

© Erdmann Kühn 2022-01-31

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