von Michael Stanic
Wunder oder Zufall?
Neulich fand ich beiläufig einen schönen alten Film von 1964, den einer der besten Regisseure Jugoslawiens im „Stil“ Pasolinis drehte. Joakim Marusic, 1937-1985 , wurde in Split, in der Nähe des Ortes fast aller meiner Erzählungen geboren. Eigenartigerweise erscheint dieses sympathische Werk in keiner seiner Biografien. Der neorealistische italienische Stil zeigt die kleine Piratensiedlung um 1964, einer Zeit, in der wir zum ersten Mal zu meiner Großmutter reisten. Auf holprigen engen Straßen, die nur teilweise asphaltiert waren, dauerte die Reise von Bayern über Rijeka bis Split zwei lange Tage, weswegen wir oft das Schiff oder den Zug bevorzugten. Es war meine späte Kindheit und frühe Jugend. Die Bilder zeigen eine kleine noch ruhige Stadt, in der es nur ein altes Hotel, das „Jadran“, wenige Restaurants und Cafés gab. Der heute die Stadt überflutende Massentourismus existierte im Kommunismus Tito’s so noch nicht. Die weit verbreitete Armut nach 1945 ist allgegenwärtig, tut aber dem Charakter des Films keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Die Kinder lebten glücklich, spielten und ersannen so manchen Streich, die Alten strahlten Zufriedenheit aus, und das einfache Leben zeigte seine ganze Schönheit. Die Geschichte ist von historischer Bedeutung, da es eines der seltenen Film Dokumente der vergangenen Zeit ist. Der Zuseher ist geneigt, wie in der ehem. DDR, positive Dinge im realen Sozialismus zu erkennen. Mich erinnert dieser kurze Streifen nicht nur an die ruhige Geborgenheit dieser Tage, sondern ebenso an Marcel Pagnols Meister Werk „Eine Kindheit in der Provence“, und Dalmatien ist fürwahr die „Provence“ Kroatiens. Es handelt sich wirklich um eine „verlorene Zeit“. Der Film hilft auf wunderschöne Art vergessene Erinnerungen für die Erzählungen wachzurufen, und dem Leser plakativ vorzuführen. Der wertvolle Bericht zeigt eine unaufdringliche Nähe zu den Menschen des beschaulichen Fischernests. Man weilte unter sich ohne die negativen Auswirkungen des digitalen Zeitalters und der Massenkultur. Heute empfängt Omis seine Gäste mit fürchterlichen Lidl u.ä. Märkten sowie den, die Flusslandschaft vernichtenden Parkflächen. Am Abend kommt der Einheimische kaum durch seine Gassen, weil billige Pizzerien, teure Restaurants und laute Cafés mit ihren Möbeln die Wege und Plätze versperren.
Man sollte wie in Venedig bald Eintritt verlangen, damit wenigstens einige Bürger bleiben. Da, wo wir munter Fisch, Wein und Brot kauften, verunstalten nun primitive Souvenirläden den letzten Rest dessen, was Marusic so anschaulich beschrieb. Es ist zu vermuten, das er Pasolini kannte, denn beide gehörten zur kommunistischen Partei, wuchsen in kleinen mediterranen Dörfern, in Dalmatien und Friaul, auf. Sie verband die schreckliche Erinnerung an den Faschismus beider Länder. Daher sein malerischer neorealistischer Film, ein bildlicher Imperativ gegen den Nationalimus und den Krieg!
© Michael Stanic 2019-11-14