von Peter Schwanter
âMir scheint ich bin noch nie dem Himmel so nah gewesen, zumindest nicht, wenn ich bei vollem Bewusstsein war.â Diesen Satz schoss Peter förmlich ĂŒber den Tisch hin zu Paul, der gerade in die LektĂŒre der Tageszeitung vertieft war. Leicht irritiert blickte dieser auf und sah sein GegenĂŒber ziemlich verstĂ€ndnislos an.
âWas war denn das gerade?â, fragte Paul, â deine ansatzlosen AusbrĂŒche werden ja immer skurriler. Darf man erfahren, was dich zu dieser auĂergewöhnlichen Erkenntnis gebracht hat. Sollte es tatsĂ€chlich meine Anwesenheit gewesen sein, die dich in diese HemisphĂ€ren geleitet hat, so lass mich wissen, wo genau mein Teil des Auslösers liegt.â
âBlödsinn! Ich war gerade in Erinnerungen an eine halbe Stunde auf einem Gipfelplateau in den Dolomiten gefangen. Ich bin ja nicht wirklich ein Bergfanatiker, aber diese kurze Zeit hat mir schon ordentlich zu denken gegeben.â
âLieber Freund, du erweckst mein Interesse. Bergerlebnisse als Bestandteile deiner Biographie sind mir bis dato noch unbekanntâ, bemerkte Paul leicht sĂŒffisant.
âIch bin da auf ungefĂ€hr 2000 Meter Seehöhe gesessen und habe ĂŒber den Rundblick gestaunt. Wie aufgefĂ€delt standen sie da, die Gipfel der Dolomiten, jeder in seiner Form einzigartig, fĂŒr den Betrachter nicht bedrohlich aber Respekt einflöĂend und ihrer MĂ€chtigkeit bewusst. Und je mehr mir die MĂ€chtigkeit dieser Berge bewusst geworden war, desto bedeutender bin auch ich mir vorgekommen. Nicht als Wichtigkeit in der Welt aber als der bestimmende Faktor in meinem ureigenen Universum. Auf einmal war dieses vergleichen wollen mit anderen oder das Messen in Zahlen wie weggeblasen. Mir wurde auf einem Schlag meine Verantwortung fĂŒr mein Leben bewusst.
Und mir lag sprichwörtlich die Welt zu FĂŒssen.
Es ist mir schon klar, dass auch nach mir noch die Sterne am Himmel leuchten werden, dass der Wind noch viele BĂ€ume biegen und auch brechen wird, aber jetzt, in diesen besagten Momenten auf dem Dolomitenplateau, war das alles nur fĂŒr mich da. Was mir in diesen Minuten klar geworden ist, hat nichts mit einer Weltverbesserungstendenz zu tun, sondern eher etwas mit einem zu sich selber kommen. Zu oft schweifen meine Gedanken in Bereiche ab, in denen ich nichts Ă€ndern kann. Ich hadere mit mir und Ă€rgere mich, dass andere so uneinsichtig sind. Wenn sie aber auf ihr eigenes Verhalten angesprochen werden, blocken sie ab und verstecken sich hinter fadenscheinigen AusflĂŒchten. Auf diesem Berg konnte ich Boden unter meinen FĂŒssen spĂŒren â Boden fĂŒr mich und mein Denken. Ich konnte in diesen Momenten nicht entschweben, dieses rund um die Sachen herum Denken funktionierte an diesem Platz nicht. In mir hatte sich Demut breit gemacht. Demut gegenĂŒber dieser Landschaft, Demut gegenĂŒber dem unwahrscheinlichen GlĂŒck, das mir in meinem Leben zu Teil wurde. Ich saĂ da und war frei. Frei in mir!â
âFreiheit ist ein groĂes Wortâ, sinnierte Paul, âleicht ausgesprochen und schwer zu verstehen.â
© Peter Schwanter 2020-08-02