von Hanna Roth
Warum braucht der Mensch Poesie? Wieso sollten wir im 21. Jahrhundert (noch) Gedichte lesen, geschweige denn schreiben? Gibt es einen Grund dafür, dass ich einige meiner intimsten Gedanken mit der Welt teilen möchte? Ja doch, den gibt es. Es ist mir ein Anliegen, wie bereits bei meinem letzten Werk, „Spiegel der Welt“, dass sich Menschen untereinander mehr austauschen. Als Menschen brauchen wir andere Menschen wie die Luft zum Atmen. Ob es um (Liebes-)Beziehungen, Familienkonstellationen, Freude an der Kulinarik, um Reisen, Identitätsfragen, Feminismus, die Natur oder die Ausbildung geht, das Kernbedürfnis ist dasselbe. Wir wollen uns austauschen können, unser Leid klagen, mitfühlen, gemeinsam lachen und weinen. Dafür war die Kunst schon immer ein guter Weg. Durch den abstrakten Ausdruck können wir uns öffnen und anderen zeigen, was in uns vorgeht. Gerade bei psychischen Problemen herrscht oft Ratlosigkeit bei Betroffenen oder Angehörigen, mit jemandem zu sprechen fällt schwer. Wir fühlen uns allein, unverstanden, hilflos, ausgesetzt, hoffnungslos. Sobald sich aber jemand traut, Schwäche zu zeigen, macht dieses Individuum den ersten Schritt in die richtige Richtung für einen Dialog. Ich selbst habe durch das Internet, aber auch durch Events wie Poetry Slams viele tolle Menschen kennenlernen und mit ihnen sprechen dürfen. Es gibt in meinen Augen nichts Wertvolleres, als dass man bei meinen Texten etwas fühlt. Gänsehaut, Tränen, Mitgefühl, der Wunsch, meine Worte jemandem weitergeben zu dürfen, dem sie auch etwas bedeuten könnten oder gar helfen. All diese Gegebenheiten inspirieren mich immer wieder, weiterzuschreiben. Die Verbindungen mit Menschen, das Verarbeiten von schwierigen Momenten, aber auch einfach die rohe Schönheit des Lebens selbst. Der Transfer von Gefühlen, Ideen und Bildern in die verbale Form ist ein essenzieller Teil meines Lebens seit der Kindheit. Dies ist meine Erklärung dafür, warum es Bücher wie „Herz gegen Kopf“ auch für die Schreibenden braucht. Sie sind ein wichtiger Schritt der Selbstreflexion, der Therapie und des Verarbeitens von Ereignissen. Sie helfen uns, Abstand und gleichzeitig Verständnis für uns selbst und das Leben zu gewinnen. Ich lese einen Text, den ich am Silvesterabend vor 4 Jahren geschrieben habe, und bin wieder genau in diesem Moment angekommen. Ich weiß, warum diese Worte aus mir geronnen sind, was sie mir bedeutet haben und immer noch bedeuten. Für meine Leser:innen wünsche ich mir, dass sie sich auf diese Reise einlassen können und den Kampf zwischen Gefühlen, Verpflichtungen, Gedanken und Wünschen nachvollziehen können. Und weil Poesie immer auch ein bisschen romantisch ist, hier ein Zusatzgedicht als Einstieg in mein Werk:
Bahnhofsromantik
Es gibt sie noch,
diejenigen, die ihre Lieblingsmenschen mit Luftballons und Blumen am Bahnsteig erwarten
Die zum Jahrestag Zeichnungen anfertigen, von allen Orten, die gemeinsam besucht wurden, wo sie zusammen getanzt, gegessen und geschlafen haben.
Sie müssen nur wollen.
© Hanna Roth 2024-08-23