Prolog

Emma Arafta

von Emma Arafta

Story
Hauptbahnhof Wien

Gesten sind vergĂ€nglich, denke ich mir, wĂ€hrend mir die hĂŒbsche Bedienung zuwinkt, weil mein Gingerbread Latte schon abholbereit an der Theke steht. „Emma“. Ja, vielleicht hat hier mal jemand zaghaft versucht, meine frierenden HĂ€nde zu wĂ€rmen, oder mich teilnahmslos ignoriert, als ich zu ihm ins Zugabteil gestiegen bin und ihn nicht gesehen habe – ich wĂŒrde ihn schon noch finden und wenn nicht, auch okay – oder sich hier mit einem awkward HĂ€ndedruck fĂŒr immer von mir verabschiedet, kurz nachdem wir gerade noch gemeinsam darĂŒber gescherzt hatten.

In den seltenen freien Momenten, die ich habe, komme ich gerne hierher zurĂŒck, vielleicht, weil ich die Stille nicht ertragen kann – ein unangenehmes Loch in der Brust, das ich alleine einfach nicht stopfen kann. Egal, um welche Tageszeit, hier ist es immer ungemĂŒtlich laut und grell, man könnte gar nicht zur Ruhe kommen. Fast so, als wĂŒrde man hier auf jemanden warten, der nicht mehr kommen wird.

Gesten sind vergĂ€nglich, aber Geschichten ĂŒberleben. Selbst, wenn man sie verdrĂ€ngt oder aus dem Internet löscht – BĂŒcher können verbrannt werden, Papier geschreddert und das eigene BĂŒro kann man ausmisten, so oft man möchte – aber Geschichten werden immer weitererzĂ€hlt werden. Auch wenn sie sich vielleicht im Laufe der Zeit immer wieder etwas verĂ€ndern, oder man jedes Mal beim Durchlesen etwas anderes hineininterpretieren wird. Wer keine Geschichten mehr erzĂ€hlt, der lebt nicht mehr.

Und deshalb muss ich jetzt hier meinen alten Laptop aufklappen, den mit den vielen linkslinken Stickern, der nach dreißig Minuten in Verwendung schon seine komplette AkkukapazitĂ€t verliert, und die Geschichte von Fips erzĂ€hlen, damit er ĂŒberleben und ich endlich zur Ruhe kommen kann. Fips – der hier einmal gelebt hat – eine kleine graue Stadtmaus, am großen, bunten Hauptbahnhof.

WĂ€hrend ich also an meinem Gingerbread Latte schlĂŒrfe, muss ich an einen Podcast ĂŒber Ratten denken, den ich letztens gehört hatte. Alles, was Ratten – und dasselbe gilt sicherlich auch fĂŒr MĂ€use – brauchen ist ein Platz zum Leben und Nahrung. Jeder Bereich, der nicht regelmĂ€ĂŸig instandgehalten wird und in dem es ĂŒberwucherte BĂŒsche oder Unkraut gibt, bietet ihnen einen idealen Lebensraum zum Graben und Nestbauen. Vielleicht hat es Fips ja so in meinen Kopf geschafft.



© Emma Arafta 2025-02-16

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Challenging