von Gerhard Maier
Soweit das Auge reicht überwuchern gesichtslose Agglomerationen von Siedlungshäusern die hügelige Landschaft. Schon längst haben wir Mexiko-City verlassen, es geht Richtung Süden, die Kolonialstadt Puebla ist unser Ziel. Mit unserem Architektenbus sind zwei Stunden eingeplant. Endlich ändert sich das Bild. Silbrige Grashügel ziehen sich bis zum Horizont, wo in der Ferne ein rauchender Vulkan auftaucht. Der Popocatapetl wird ab jetzt das Landschaftsbild prägen.
An der Einfallstraße nach Puebla wird stolz das VW-Emblem gezeigt. Puebla ist nicht nur eine Weltkulturerbe-Stadt, sie ist auch eine Auto-Stadt. Der letzte VW Käfer ist hier vom Band gelaufen, bevor seine Produktion ganz eingestellt wurde.
Unser Hotel an der Altstadtmauer hat ein luftiges Konzept. Ein großer Atriumhof ist das Herzstück, Gasträume schließen fließend ohne Türen und Fenster an den Hof an. Kirchtürme schauen über die Mauer herein. Über eine 10 Meter breite, geländerlose Freitreppe geht es 6 Meter in die Höhe zu den Zimmern und weiter hinauf auf die Poolterrasse. Von dort dominiert der Popocatapetl mit markanter Rauchfahne das Bild.
Zum Abendessen werden offene Feuerstellen angeschürt, die Gesichter der Gäste sind heiß, ihre Kehrseiten dafür a.schkalt. Nur die Gästezimmer haben Türen und Fenster. Unser Zimmer hat eine Glasscheibe als Außenwand, die das Straßenbild ins Innere holt. Und umgekehrt. Vertikaljalousien und Bademäntel sind aber verfügbar.
Puebla, 1531 gegründet, ist der Traum einer Kolonialstadt vom Reißbrett, mit einem Dom in der Mitte, umgeben von orthogonalen engen Straßenzügen, die das Wohnen und Arbeiten organisieren. Viele der alten Häuser sind Museen. Die älteste Universität Mexikos wurde hier gegründet. Puebla ist die Stadt der spanischen Eroberer.
Die Schwesterstadt Cholula ist die Stadt der Ureinwohner. Als die Konquistadoren 1519 hierherkamen, war Cholula mit 100.000 EW eine Pilgerstadt mit unzähligen indigenen Heiligtümern. Die Einwohner waren nicht sonderlich freundlich, Cortes richtete ein Massaker mit tausenden Toten an.
Das Wahrzeichen ist die Pyramide von Cholula, dem Anschein nach ein markanter Hügel mit einer Barockkirche auf der Spitze. Unter dem Hügel verbirgt sich die von der Kubatur her größte Pyramide der Welt, mit einer Grundfläche von 450 x 450 Meter. Nach der Eroberung durch die Spanier wurde sie dem Verfall preisgegeben und zum Zeichen des Sieges eine Kirche daraufgesetzt. Heute finden archäologische Arbeiten statt. Architekten sind ein neugieriges Volk und ohnehin befugt, jede nicht versperrte Anlage zu betreten. Wir fanden ein Loch am Fuße der Pyramide, ein Gittertor war nur angelehnt. Im Gänsemarsch wagten wir uns auf engen, schlecht beleuchteten Stollen ins Innere der Pyramide vor. Nach zehnminütigem Marsch, mit teilweisen Panikanfällen von klaustrophobischen Kolleginnen, trafen wir auf Archäologen, die uns höflich aber bestimmt wieder ans Licht scheuchten.
© Gerhard Maier 2020-08-12