Reh – Zaun – Tod!

Sabine Almhofer

von Sabine Almhofer

Story

So munter wie Nachteulen morgens sein können, genieße ich auf dem Balkon ein Fass Kaffee, als ich es zwei Stockwerke unter mir im Garten rascheln höre. Meine grauen Zellen rattern schneller, als mein physischer Körper, sich zu erheben, imstande ist. „Es muss ein größeres Tier sein“, geht es mir durch den Kopf. „Es muss alleine sein.“

Neugierig stehe ich auf und entdecke ein einzelnes Reh, das zufrieden durch den Garten grast. Als es mich wahrnimmt, hält es kurz inne und blickt mir direkt in die Augen. Ich liebe diese anmutigen Tiere und mein Herz schmilzt sofort, als ich in seine zufriedenen, furchtlosen Augen blicke. Ich lächle das sanftmütige Tier an. Es verzaubert meinen Tag.

„Reh – Loch im Zaun – Tod“, geht es mir durch den Kopf und meine Augen suchen bereits nach dem imaginären Zaun.

Es war ein Flashmoment – damals – in meinem Büro. Die Atmosphäre erinnert an Endzeitstimmung, die Motivation reicht allgemein nur noch dazu, pflichtbewusst seine Aufgaben zu erfüllen und nach Möglichkeit alle Richtlinien einzuhalten, von denen niemand mehr den Gesamtüberblick hat. Die unterschiedlichen Charaktere, aus denen das Team zusammengewürfelt ist, harmonieren nur oberflächlich miteinander.

Kollegin Conny, Resignationsstatus 100 % und trotzdem wild entschlossen bis zur Pension durchzuhalten, nach dem Motto „diese 20 Jahre biege ich auch noch runter“, spricht uns ihr Anliegen aus:

„I brauch dringend frei. Mei Zaun muass repariert werden. Wir haum sunst d‘ Reh im Gorten“.

Ob meiner Tierliebe entschlüpft mir ein, meinem Alter nicht entsprechendes „jö Bambi, wie süß“ und in meiner Märchenwelt sehe ich die sanftmütigen Tiere vor mir, während die Kreditdokumente neben mir an Bedeutung verlieren.

Abrupt werde ich in strengem Tonfall mit einem Schlag in die wirkliche Welt zurückkatapulpiert. „Des is ka Spaß. Waun des Reh wieder aussi wü ausm Gortn, daun find‘s in Weg nimma, laft panisch umanaund, valiert d‘ Orientierung, rennt gegan Zaun und stirbt!“

Mir bleibt der Mund offen stehen, ohne dass Worte daraus hervorpurzeln, so real stirbt das süße Rehlein vor meinen Augen.

Nach der ersten Schockminute wage ich es vorsichtig nachzufragen, ob das denn schon einmal passiert ist. „Na, oba des wird passiern waun der Haundwerker ned morgn in Zaun richt.“

Die Kraft, mit der sie mir ihre Angst um die Ohren schleudert, lässt vermuten, dass es für sie genauso kommen wird, denn wie heißt es: Aus Worten werden Taten und mit dem, was du denkst, wirst du immer Recht haben, weil du dir aus Gedanken deine Realität erschaffst.

Ich bin froh, dass dieses reale Reh vor mir lebt und keine Angst davor hat, in einen Zaun zu laufen.

Jeder von uns hat jeden Tag die Entscheidungsfreiheit, zu wählen, welchem seiner Gedanken er die Macht gibt, zur Realität zu werden.

Ich wünsche uns das Bewusstsein, unsere Entscheidungen aus freiem Willen, anstatt aus einer Angst heraus zu treffen und die Kraft, nur jene Gedanken auszusprechen, die zum Wohle aller Lebewesen beitragen.

© Sabine Almhofer 2021-12-09

Hashtags