Rote Schuhe

Lorenz Graf

von Lorenz Graf

Story

Flohmärkte ziehen viele Menschen an. Sie sind einfach faszinierend und abenteuerlich. Ich selber besuche ja mit meiner Frau Flohmärkte nicht so gerne. Zu groß ist meine Sorge, dass mich meine liebe Gattin dort als Antiquität zurücklässt oder gar billig verscherbelt. Sie würde das niemals tun, schwor sie mir zwar immer aufs Neue. Aber halten Schwüre von Frauen ewig?

Dennoch besuche ich Flohmärkte immer, wenn meine Liebe Gattin es wünscht. Dabei denke ich oft, was ich sofort tun würde, wenn ich Umweltminister wäre. Ich würde alle Flohmärkte besuchen und jedem Aussteller die Standgebühr bezahlen. Die leisten einen wichtigen und nachhaltigen Beitrag zur Müllvermeidung, Ressourcenschonung und Energieeinsparung, denn die ökologischste Form der Rohstoffschonung ist die Wiederverwendung. Die “Flohmarkt-Händler” leisten so einen Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels. Außerdem retten sie oft genug auch wertvolle Kulturgüter und machen vielen Menschen für wenig Geld eine Freude. So auch einmal meiner lieben Gattin und mir. Wir schlenderten zwischen Standeln und Tischen auf einem großen Flohmarkt hindurch. Meine Frau war im Jagdfieber, ich war eher mürrisch, uninteressiert und auf der Suche nach einem Getränkestand. Da entdeckte meine Schnäppchen-Jägerin unter hunderten Dingen knallrote Schuhe mit sehr hohen Absätzen. Solche Schuhe trug sie gelegentlich vor langer, langer Zeit als Hippie-Mädchen neben ihren sonst flachen Schlapfen. Die mussten probiert werden! Ich fand dafür zwar keinen ausreichenden Grund, aber meine liebe Frau schwelgte in Erinnerungen. So wartete ich geduldig. Warten ist ja das Los vieler Ehemänner vor einem Geschäft.

Die roten Schuhe passten! Herumstehende Männer gaben anerkennende Kommentare ab und forderten mich auf, der Frau doch die Schuhe zu kaufen. Ich kaufte sie, es waren ja nur ein paar Euro. Der Händler freute sich gleich dreimal. Zum einen, weil er für die Ladenhüter Geld bekam, zum anderen, weil ihm die Schuhe an den Füßen meiner Frau gefielen und drittens, weil inzwischen viele Neugierige angelockt worden waren. Meiner Gattin war die Aufmerksamkeit inzwischen etwas peinlich, daher verstaute sie die Schuhe rasch in ihrer Einkaufstasche. Beim Weggehen, vorbei an den Zusehern, wurde sie sogar etwas rot im Gesicht, wenn auch nicht so auffallend wie die Farbe der Schuhe.

Daheim ermunterte ich sie, nein, verlangte ich von ihr, dass sie die Schuhe anziehen soll. Ich möchte sie genauer betrachten. Erst zierte sie sich, doch dann stolzierte sie damit im Wohnzimmer hin und her. Sie war auch auf einmal größer als ich. Es war ein schöner Anblick, wenngleich ihr Gang, wie ich feststellte, dem der „Schönen der Nacht“ vom Wiener Prater oder vom Gürtel sehr ähnlich war. Wer hätte gedacht, dass ausrangierte Schuhe uns zwei alte Menschen in eine jugendliche, nostalgische, erotische Euphorie entrücken können?

“Wenn jetzt das jemand sehen würde”, meinte meine liebe Gattin besorgt. Das war aber sicher nicht das, was MICH in Unruhe versetzte!

Schnitt! Ende!

© Lorenz Graf 2021-12-02