von Philip Steiner
Gigantische göttliche Kiefer laben sich an jugendlichem Fleisch. Glied um Glied verschlingt Saturn sein Kind, indessen ihn der Wahnsinn um seinen Verstand bringt. Die Luft ist erfüllt mit dem Knirschen titanischer Zähne, die das schwächliche Gebein zermahlen. Dieses unersättliche Mahl ist geschmacklos; getrieben von reiner Gier. Gehüllt in Finsternis speist der Göttervater.
»MEIN THRON! Er gehört niemand anderem! KEINE PROPHEZEIUNG! Meine Herrschaft soll ewig währen!«
Tränen laufen Saturn über seine frenetisch glühenden Augen, tropfen in die Wunden des Kindes. Jeder Muskel, jede Faser seines Körpers, bebt im Exzess; ein Geist beherrscht von einem unüberwindlichen Paradoxon. Mit jedem Stück olympischen Fleisches stechen widersprüchliche Emotionen in Saturns Geist; Myriaden von neuronalen Dolchen foltern die gebrochene Seele. Überall auf dem Olymp erklingt des Königs verzweifeltes Gebrüll.
»Niemals werden die Titanen fallen. Niemals endende Herrschaft des Erstgeborenen. WARUM KIND? Warum mussten du und deine Geschwister mich verraten? OH GRAUSAMES SCHICKSAL!! Wieso hast du mich im Stich gelassen? Für immer werde ich verdammt sein für meine Taten. Und diese Verdammnis soll auch meine Schöpfung ereilen. Die Menschheit wird meine endlose Gier nach Macht erben! SIE SOLLEN IHRE KINDER VERSCHLINGEN IM KAMPF UM DEN THRON!
Der letzte Bissen ist getan. Das grausame Mahl ist vollendet. Besudelt mit Blut und Tränen rollt sich Saturn am Boden zusammen. Ein krampfartiger Anfall schüttelt die titanische Form. Ausdruckslos starren die dunkelbraunen Augen des unsterblichen Herrschers ins Nichts.
Vor ihm steht Opis, standhaft und zu allem entschlossen. Jupiter, das letzte verbliebene Kind des Saturn, kauert zitternd hinter seiner Mutter. Das tiefe, kehlige Atemgeräusch des Göttervaters lässt die Erde erbeben. Als der Titan seine Frau und seinen Sohn erblickt, beginnen die roten Venen in seinen Augen chaotisch zu pulsieren. Speichel rinnt aus dem blutverschmierten Mund.
Ein Ruck geht durch die monströse Gestalt. Massive Arme und Beine zerschlagen den Boden, als Saturn gewaltsam auf seine Liebenden zu kriecht. Ein rasendes Brüllen reißt den Nachthimmel entzwei als der Titan sich auf sie stürzt.
© Philip Steiner 2021-08-10