von Melanie Jung
Ich bin schon wieder hier.
Ausgerichtet jetzt, wenn ich es mir nicht leisten kann.
Ich habe mich heute Morgen selbst überrascht, als ich es endlich geschafft hatte mich dann doch aus dem Bett zu wälzen. Wortwörtlich. Hätte ich nicht diesen dringenden Termin wäre ich sicher liegen geblieben, obwohl ich mir auch das hätte nicht leisten können.
Ein weiterer Windstoß lässt mich frösteln, trotz der dicken Winterjacke. Ich lege meinen freien Arm schützend vor meinen Körper, als würde es etwas nützen. Es ist so verflucht kalt.
Mein Herz zieht sich auf einmal Schmerzhaft zusammen, sodass ich mit der Hand dagegen drücke, in der Hoffnung, dass es aufhört. Zusätzlich breitet sich ein kaum auszuhaltender Druck in meinem Kopf aus. Plötzlich muss ich mit aller Gewalt gegen aufkommenden Tränen ankämpfen, die an die Oberfläche zu brechen drohen. Nicht etwa wegen des Wetters oder der Kälte die mich nun auch innerlich frösteln lässt. Vielmehr, weil ich mich mit einem Mal so unendlich leer fühle. Der Drang in einen Heulkrampf auszubrechen wird mit jedem Schritt größer. Dieses Gefühl zerrt an mir, will mich weiter in die Tiefe reissen und ich weiß nicht wie ich mich dagegen wehren soll.
Warum bin ich so?
Warum passiert mir das jetzt?
Wo kommt das auf einmal her?
Ich schirme mich ab und gehe teilnahmslos durch die Menge. In Gedanken versuche ich mich auf die kommenden Ereignisse des Tages vorzubereiten. Ich bilde mir ein das ist etwas an das ich mich klammern kann, dass mir ein Gefühl von halt geben kann, auch wenn mir die Motivation für jeden weitern Schritt fehlt. Ich muss mich konzentrieren, ich zwinge mich weiterzugehen. Einen Schritt vor den anderen. Einfach weitergehen. Doch auch das kann meine Gedanken nicht halten. Sie schweifen ab, entgleiten mir. So lösen sich die Tränen, erst ganz zaghaft, bis sie schließlich hemmungslos über meine Wange kullern. Sie vermischen sich mit dem Regen auf meiner Haut, sodass man sie vielleicht nicht als solche erkennen kann, doch ich schmecke sie auf meinen Lippen. Ihr Salz verrät sie.
Mit gesenktem Kopf schleiche ich weiter durch die verregnete Luft, vorbei an den Menschenmengen die d´sich nun wie eine undurchdringliche Wand gegen mich zu stemmen scheint. Allein der regenschirm hält sie davon ab einer nach dem anderen gegen mich zu rempeln und mich mit ihnen in die entgegengesetzte Richtung zu zerren.
Der Regen wird stärker, als ich an einem bekanntem Laden vorbeikomme. Ich entscheide spontan vor den aufkommenden Wassermassen Schutz zu suchen. Eine Klingel über der Tür kündigt mein Eintreten an. Ich stelle den Schirm neben der Tür ab. Es klingelt noch ein Mal, als die Tür hinter mir zufällt und der Regen nur noch als eintöniges Rauschen hinter dem Glas der Fensterscheibe zu hören ist.
Die Wärme beruhigt mich etwas, sowohl äußerlich als auch innerlich. Am anderen Ende des Raumes verspricht mir ein Getränkeautomat ein koffeinhaltiges Heißgetränk, welches hoffentlich sein Übriges gegen diese Kälte tut. …
© Melanie Jung 2021-06-29