„Schisslaweng“

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Nachdem ich vor jetzt 50 Jahren aus dem Münsterland nach Österreich kam und dort blieb, habe ich mir nach und nach alle deutschen Redensarten abgewöhnt, weil sie mir hier irgendwie deplatziert vorkamen. Ich meinte Hochdeutsch zu sprechen, doch neben den niederdeutschen Elementen, erschien es mir ratsam, Begriffe wie „Tüte“, „Eimer“ und „Pilz“ durch Sackerl, Kübel und Schwammerl zu ersetzten. Zwar blieb der norddeutsche Sprachduktus erhalten, doch hielt ich diese Lösung für einen den Österreichern zumutbaren Kompromiss.

Jetzt, in Zeiten der Pandemie, leben meine österreichische Ehefrau und ich in getrennten Haushalten. Wir folgen allen ärztlichen Empfehlungen, doch kümmert sich meine Frau viel um die Enkerl, während ich mich aufgrund meiner Gesundheit in unser uraltes Haus ins Waldviertel zurückgezogen habe. Dort sind meine Realkontakte auf den Supermarkt und die Apotheke reduziert. Alles andere ist aufs Telefon und die Informationstechnik zurückgefahren.

Da aber der Mensch Sprache braucht, habe ich irgendwann in meiner Zurückgezogenheit angefangen, mit mir selbst zu reden. Angefangen hat es mit Stoßseufzern, doch bald wurde mehr daraus. Sonderbar? Also ich finde, dass es bei älteren Leuten noch weitaus sonderbarere Dinge geben darf.

Dabei jedoch fand ich merkwürdig, dass vermehrt uralte Redewendungen aus der Kindheit so zutage traten, wie ich sie einst vor allem von der lieben Oma mitbekommen hatte. Im 19. Jh. im Lipperland geboren, entfloh sie ihrer kargen Umgebung dadurch, dass sie bei „Herrn und Frau Geheimrat“ in deren großbürgerlichen Haushalt in Potsdam in Stellung ging. In dieser kaisertreuen, streng preußischen Umgebung waren militärische Begriffe geradezu selbstverständlich und so sprach man dort nicht nur von einer „Bombenstimmung“ bei dieser oder jener Veranstaltung oder von jemanden, der überall als „Stimmungskanone“ galt, sondern man benutzte auch Spruchweisheiten wie „5 Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit“ und dgl. mehr.

Angeblich stammt von dort auch eine Verballhornung aus der Napoleonischen Besatzung: „Fisimatenten“ für Faxen. Dieses Wort hat seinen Ursprung darin, dass französische Offiziere hübsche Mädels mit den Worten „visitez ma tente“ baten, sie in ihrem Zelt zu besuchen. Später kam mir eine noch ältere Redewendung in den Sinn: Diverse Aufzählungen von Dingen ließ die Oma nicht offen enden, sondern schloss sie gern mit der Redewendung „… und all dieser Schisslaweng“ ab. Dies Wort geht auf das französische „c’est le vent“ (dt. so wie eben der Wind geht) zurück und lässt sich angeblich auf die Hugenotten zurückführen, die Ende des 17. Jh. besonders im Brandenburgischen Asyl fanden.

Spätestens da spürte ich vehement die Hoffnung, nach meiner nun fast zweijährigen Eremitage doch endlich mal wieder mehr unter Leute zu kommen. Dazu aber hätte die Oma den Zeigefinger erhoben und gesagt, „doch die meiste Zeit seines Lebens wartet der Soldat vergebens!“

© Klaus Schedler 2021-12-29

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