Schlesien – die Suche nach den Wurzeln

Martin Worst

von Martin Worst

Story

Reise in die Vergangenheit.

Meine Mutter wurde in Weißstein im Kreis Waldenburg (Niederschlesien) geboren. Sie sprach selten über die verlorene Heimat und die Vertreibung der Familie nach Kriegsende.

Wann immer ich sie danach fragte, sagte sie nur, es war Glück, dass die Familie 1946 den letzten Zug gen Westen erreichte. Und wenn sie einen besonderen Tag hatte, erzählte sie von dem großen Haus, in dessen Flur sie sogar mit dem Rad fahren konnte. Und sie sprach von herrlichen Wäldern und Bergen. Vom Rübezahl und dem Riesengebirge. Über den Krieg hat sie nie gesprochen.Wie gern hätte ich die Heimat meiner Mutter und ihrer Familie einmal gesehen!Mit Fall des „Eisernen Vorhangs“ 1989 wurde es möglich, Schlesien zu bereisen. Eine Tante von mir hatte bereits Ende der neunziger Jahre ihre ehemalige Heimat besucht. Und 2001 war es dann so weit, ich folgte ihr, brach mit ihren Aufzeichnungen auf in die Vergangenheit.

Weißstein im Kreis Waldenburg heißt heute Biały Kamień und ist Teil der Großstadt Wałbrzych. Dank den Skizzen meiner Tante fand ich mühelos die Häuser, in denen meine Urgroßmutter und meine Großeltern mit meiner Mutter und ihren Geschwistern gewohnt hatten. Die Wohnung der Großeltern liegt in der ehemaligen Hauptstraße, welche heute den Namen „Ulica Generała Władysława Andersa“ trägt. Die Hausnummer 75 ist noch dieselbe.

Heute wohnen dort mehrere Familien. Mitten im Innenhof stand ein großer Baum, den ich bestaunte. Schon kam ein Bewohner auf mich zu und fragte, ob er helfen könne. Ich erzählte ihm von der Suche nach meinen Wurzeln. Der Mann war hilfsbereit und lud mich spontan ein, Haus und seine Wohnung anzuschauen. Gern folgte ich dieser Einladung durch den Flur bis zur Wohnungstür. Die Wohnung wollte ich jedoch nicht betreten, zu aufdringlich erschien mir dies. Ich schaute mir Haus und Hof an, stellte mit vor, wie Mutter hier gespielt hatte, wie sie sich im Kohlenkeller versteckte und die Geschwister sie suchten. Der Flur war übrigens nicht so riesig, wie in den Erinnerungen meiner Mutter. Ich denke, in ihrer Erinnerung war alles größer und schöner.

Felder umgaben das Haus und in der Ferne erblickte ich den Gipfel des Hochwaldes (heute Chełmiec). Auf einem alten Foto sitzt unterhalb des Berggipfels meine Urgroßmutter mit ihren Enkeln. Dorthin zog es mich magisch, lagen dort meine Wurzeln? Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, auf jeden Fall meiner Mutter ein Foto von selbiger Stelle mitbringen. Es ist gelungen.

Mein Großvater hatte im Büro der Zeche Julia gearbeitet. Ich folgte auch dieser Spur. Heute ist die Zeche geschlossen und ein bedeutsames Schaubergwerk. 2001 gab es dort nur ein kleines Museum.

Die Reise in die Vergangenheit hat mich bewegt, ich sah wunderschöne Landschaften und traf freundliche Menschen. Aber meine Wurzeln fand ich nicht.

Seitdem weiß ich, dass meine Wurzeln im westfälischen Hagen liegen. Hierfür gibt es Gründe. Doch dies ist eine andere Story.

© Martin Worst 2021-11-16

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