Schutzengel mit Sprungkraft

Jennifer Gradwohl-Härtel

von Jennifer Gradwohl-Härtel

Story

Ich erinnere mich ganz genau an jenen Ostersonntag als wäre er gestern gewesen. Der Himmel war strahlend blau und die Sonne entfaltete ihre volle Kraft bereits in den frühen Morgenstunden. Das Gras war noch mit Tau bedeckt und die letzten Nebelschwaden vielen ins Tal herab. Die Aussicht von unserer Berghütte war fantastisch. Im Haus verteilte sich der Geruch von frisch gebackenen Kipferl und fröhliches Gelächter sowie Omas Küchenradio waren im Haus zu hören. Die Stimmung war perfekt und die Spiele konnten beginnen. Ich war zu diesem Fest Elf Jahre alt. Ostern war und ist bis heute mein absoluter Lieblingsfeiertag. Früher feierten wir das Osterfest im engsten Familienkreis zusammen auf unserer damaligen Berghütte in der Steiermark. Wir hatten eine bestimmte Tradition. Die Suche nach den Osternestern verlief anders als bei anderen Familien. Denn um diese zu finden fertigten wir aufwendig gestaltete „Schatzkarten“ an. Ich war in meinem Element und konnte mich kreativ ausleben. Auch in diesem Jahr hatten es meine Rätsel in sich. Das Frühstück konnte nicht schnell genug gehen, um mit der Schatzsuche loszulegen. Hierbei ging es nie um die „Geschenke“, sondern um den gemeinsamen unvergesslichen Familienspaß bei der Suche, den ich bis heute verinnerlicht habe. Alle Nester waren gefunden und die ersten Schokoladeneier bereits im Magen gelandet, als mir meine Eltern eine letzte Karte überreichten. Dies hatte ich nicht mehr kommen sehen. Ich spürte eine Aufregung, die ich nicht zuordnen konnte. Tief im Inneren, hoffte ich auf die Erfüllung eines ganz speziellen Herzenswunsches. Als ich einen großen Käfig mit einem gelben Laufrad fand, wurde die Welt still und mein Herz schwappte vor Glück über. Es war so weit und mein Traum von zwei wundervollen Wüstenrennmäusen ging in Erfüllung.

Eine Woche später fand ich mich in der Tierhandlung wieder und durfte mir meine zwei Mäuse aussuchen. Ich wusste alles über Wüstenrennmäuse und ihre artgerechte Haltung. Ich war bereit für die beiden neuen Familienmitglieder. Aus dem Bauchgefühl heraus entschied ich mich für eine braune und eine schwarze Maus und gab ihnen den Namen „Niki & Benschi“. Die beiden waren bereits am ersten Tag die besten Freunde und blieben es bis zu ihrem letzten Atemzug. Sie konnten unterschiedlicher nicht sein. Nicki war der starke und mutige, während Benschi dafür sorgte, dass Niki nichts passierte und die häuslichen Aktivitäten wie den Nestbau übernahm. Sie ergänzten sich perfekt und ohne einander konnten sie nicht sein. Ich wurde oft belächelt und Aussagen wie: ‚Es sind nur Mäuse‘ fielen regelmäßig von Außenstehenden. Aber für mich traf dies nicht zu. Die beiden hatten eine einzigartige Verbindung zu mir aufgebaut. Wir spielten zusammen, ich wusste über ihre Vorlieben und unterstütze ihre persönlichen Charakterzüge. Die beiden Mäuse begleiteten mich viele glückliche Jahre beim Heranwachsen zu einer jungen Frau und gaben mir Halt. Die Erlebnisse und Erinnerungen an die gemeinsame Zeit leben bis heute in unserer Familie weiter und lösen herzhafte Lachkrämpfe aus. Es waren nicht „nur“ Mäuse, sie waren vollwertige Familienmitglieder mit ganz viel Herz und Wärme. Mein Niki und Benschi bleiben unvergessen, denn sie sind meine Schutzengel im Himmel mit viel Sprungkraft direkt in mein Herz.

© Jennifer Gradwohl-Härtel 2025-04-23

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