von Klaus Schedler
Nein, ich bin nicht abergläubisch und dennoch fällt es mir auf, wenn der 13. auf einen Freitag fällt. Im März 2020 war es wieder einmal so weit, doch erschien mir dieser Tag zunächst wie jeder andere. Wie immer bin ich um 11:30 zum Dorfwirt gegangen, um mir vor dem Mittagessen bei einem Glas Wein den „Kurier“ zu geben. Es war ganz normaler Wirtshausbetrieb, mein Stammplatz auf der kleinen Bank rechts neben der Schank war frei und die Zeitung lag dort schon bereit.
Zentrales Thema dieser Tage war die sich ausbreitende COVID-19 Seuche, die erst am Mittwoch zuvor von der WHO als Pandemie eingestuft worden war. Da war auch mir mulmig geworden, weil ich sah, wie für mich als Pensionisten das Ansteckungsrisiko nun schon ganz real bei mir vor der Tür stand. Jetzt kamen im Radio die Mittagsnachrichten mit der Ankündigung, dass in Österreich das gesamte öffentliche Leben mit Ausnahme der absolut notwendigen öffentlichen Versorgungsleistungen bis auf weiteres zurückgefahren werden sollte. Natürlich betraf dies auch das Wirtshaus, wobei es hieß, dass die Restaurants noch übers Wochenende, jedoch nur bis längstens Montag 15:00 offenhalten konnten.
Ich versuchte mir die Konsequenzen dieser Ankündigung für uns alle vorzustellen. Immer wieder dachte ich an das Märchen vom Dornröschen, jener Prinzessin, die in einen tiefen Schlaf fiel, nachdem sie sich mit einer Spinnspindel in den Finger gestochen hatte. Nicht nur sie schlief, sondern alles Leben im Schloss, Mensch und Tier wurden erst nach 100 Jahren wieder erweckt, als ein Königssohn gekommen war und die Prinzessin erlöste und somit den Bann brach.
Ich dachte an einen leblosen Arbeitsmarkt, eine darniederliegende Wirtschaft, überforderte Spitäler etc. und meine größte Sorge galt der Aufrechterhaltung der Öffentlichen Sicherheit, denn ich habe oft den Eindruck, dass wir im Hinblick auf die Solidarität zwischen allen Menschen uns einer Illusion hingeben, die nur aufrechterhalten werden kann, wenn wir immer dickere Mauern um unsere Solidargemeinschaft bauen. Diese grauenhafte Vorstellung erschien mir überdies insofern besonders dramatisch, weil uns ja nicht wie im Märchen die Gnade des Schlafes vergönnt wäre. Vielmehr müssten wir sehenden Auges und bei vollem Bewusstsein unseren eigenen Niedergang beobachten.
Kurzum ich stand kurz vor einer wirklich apokalyptischen Vision, die ich dringend loswerden musste, als sich der Manfred und der Günther soeben anschickten, das Lokal zu verlassen. „Servus Klaus, und sehen wir uns am Sonntag beim Stammtisch bei der Burg?“ „Ich glaub das geht sich nicht aus, denn ich bin im Gottesdienst.“ „Na dann bis Montag.“ „Ja, bis Montag, doch fürchte ich, dass dann hier schon zugesperrt ist.“
So war es auch. Das letzte Wirtshaus im Dorf hatte am Freitag, den 13. März zum letzten Mal geöffnet. Die Wirtsleut sind einfach in Pension gegangen. Das Dorf hat nun seit Menschengedenken erstmalig kein Wirtshaus mehr. Ein schwarzer Freitag.
© Klaus Schedler 2020-10-09