Schwarzer Kaffee

Melanie Wolf

von Melanie Wolf

Story
Café 2000 – 2030

Der Mann gegenüber zuckt mit den Lippen.

Es soll wohl ein Lächeln sein. Doch statt sich in Falten und Kurven zu legen bleibt seine Haut glatt und gerade wie Glas.

Alles an ihm ist glatt und gerade.

Sein Auftreten, seine Kleidung, seine Stimme, die ebenfalls glatte Worte trägt, sein Blinzeln, seine Weise, wie er den Kaffee vor sich trinkt.

Schwarzer Kaffee.

Ich habe noch nie einen Menschen schwarzen Kaffee trinken sehen. Sonst nur die Gesichtslosen, die in ihren faltigen Händen Cappuccino, Chai Latte und Espresso Macchiato in den Regen hinaustragen.

Regen, grau und faserig, der die Welt außerhalb des Cafés in eine eintönige Masse verwandelt. Mit Menschen, die innen wie außen ebenso einfarbig sind.

Nicht so der Mann vor mir. Trotz seiner Glattheit ist er farbenfroh.

Paradox.

So wie jetzt, denn seine geraden, glatten Finger fahren aus und streichen über meinen Kopf. Ich lehne mich in die Berührung hinein und empfinde schnurrende Zufriedenheit.

Er sagt etwas. Ich verstehe ihn natürlich nicht. Aber er zuckt erneut mit den Lippen. Zur Antwort blinzle ich ihm aus meinen Schlitzaugen zu.

Seine Haut ist kühl, nicht so wie die anderer Menschen, warm, schweißig, unruhig.

Ich lasse geschehen, dass er mich vor den Augen aller streichelt. Blicke im Café, die erst mich, dann den Mann betrachten.

Bei manchen erkenne ich ein Lächeln.

Könnte ich lächeln, würde ich es in diesem Moment auch tun.

© Melanie Wolf 2024-01-11

Genres
Anthologien
Stimmung
Hoffnungsvoll, Unbeschwert, Entspannend
Hashtags