von Sim Steiner
Wohl niemand möchte gemobbt werden.
Aber mal ehrlich: Es gibt Menschen, die scheinen selbst schuld daran zu sein, Opfer von Mobbing zu werden. Nehmen wir ein typisches Mobbingopfer an: Ella,15 Jahre alt. Vielleicht wirkt Ella unsympathisch. Vielleicht scheint es als wäre sie am liebsten alleine. Vielleicht drängt sie sich hingegen ungeschickt in den Mittelpunkt. Vielleicht legt sie so wenig Wert auf ihr Äußeres, dass sie schon von Weitem danach schreit, deshalb angepöbelt zu werden.
Tatsächlich gibt es diese Verhaltensweisen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, gemobbt zu werden. Nichtsdestotrotz: Diese rechtfertigen Mobbing nicht. Nichts rechtfertigt Mobbing, selbst wenn Ella noch so prädestiniert dafür wäre. Deswegen ist Ella auch niemals schuld, Mobbingbetroffene zu sein. Verantwortlich für Mobbing sind IMMER die, die mobben. Wären die Mobber gänzlich bei sich und würden ihren Wert kennen, bräuchten sie nicht zu mobben. Stattdessen wären sie maximal irritiert von abweichendem Verhalten anderer, begegnen diesem aber mit einer gesunden Offenheit und sehen es als eine Chance für die Reflexion ihres Selbst.
Ella darf sich nicht wundern, wenn sie von anderen Menschen gemieden wird, selbst wenn ihr Verhalten nicht ihrem Wesenskern entspricht. Ihre Ausstrahlung und ihre Handlungen sind es, was vorrangig in ihr gesehen werden. Nur sehr mutige und achtsame Menschen blicken, wenn sie Glück hat, hinter ihre Fassade und erkunden, was wirklich hinter ihrem Verhalten steckt.
Möglicherweise hat Ella Angst, ihre Mitschüler zu grüßen, weil sie befürchtet, von ihnen ignoriert zu werden – dann wäre Ella in Wahrheit gar nicht so unhöflich oder uninteressiert, wie es andere vielleicht von ihr annehmen. Nein, lediglich ihre Angst hindert sie daran, authentisch zu handeln.
Möglicherweise ist Ella in der Schule 1A und für ihre Eltern und Lehrer scheint alles in bester Ordnung zu sein. Trauen wir uns das Gegenteil anzunehmen, nämlich dass ihre schulische Leistung eine Kompensation für etwas anderes darstellen, das Ella Angst macht.
Möglicherweise hat Ella aber auch einen Konflikt provoziert. Darf sie sich dann immer noch nicht wundern? Sie darf. Mobbing ist etwas anderes als ein Konflikt. Ein Konflikt geht vorüber, kann geklärt werden oder ruht für kürzere oder längere Zeit. Mobbing hingegen ist gefühlt allgegenwärtig, passiert unkalkulierbar und systematisch.
Wir brauchen kein Verhalten gutzuheißen. Wir brauchen keine Freundschaften mit jemanden einzugehen, mit dem wir keine Verbindung spüren. Wir sollten uns akzeptieren und vor allem: Uns selbst akzeptieren – denn dies ist der erste Schritt, um anderen das Geschenk zu machen, ganz einfach angenommen zu sein. Wir können sie respektvoll auf schlechtes Verhalten hinweisen. Wir können sogar einen Schritt weitergehen und wirklich hinschauen, ihr Tun hinterfragen. Wir können unsere Hilfe anbieten.
Wer weiß, vielleicht wird Ella bald unsere beste Freundin?
© Sim Steiner 2023-06-30