Sie schwor niemals zu schweigen!

Daniela Adler

von Daniela Adler

Story

Die Geschichte hat sie schon oft erzählt, weil sie ihr heute noch immer so unwirklich erscheint. Sie war 20, eine junge Frau, d nicht so wirklich wusste, was sie aus ihrem Leben machen sollte. Kurz nach der Matura hatte sie das Lernen satt u wollte weg aus der Enge, dass das Landleben ihr damals bot. Sie nahm eine Wohnung in Wien, u begann bei der Post zu arbeiten. Es war nicht ihr Traumjob, doch er bot ihr die Freiheit, die sie wollte. Sie wurde zu einem Amt im 2. Wiener Bezirk zugewiesen. Straßenbahnendstation. Na ja, nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hatte, aber sie war neugierig u voller freudiger Erwartungen. Begrüßt wurde sie von einem kleinen dicken Herrn mittleren Alters. Er stellte sich als Amtsleiter vor. Den ganzen Tag arbeiteten sie zu zweit vor sich hin. Briefe u Pakete wurden angenommen, Marken abgestempelt u manchmal verirrte sich jemand, um eine Geldanweisung aufzugeben. In diesen Stunden wurde nicht viel geredet. Es stellte sich gleich heraus, dass die zwei nicht wirklich Gemeinsamkeiten hatten, worüber es lohnte sich auszutauschen.

Nur einmal begann er zu erzählen.

Es war der 09.11.1999, ein trüber Tag, viel Nebel hing über Wien. Er fragte sie, ob sie schon einmal vom Holocaust gehört hatte. Natürlich, antwortete sie, eine furchtbare Zeit.

Er unterbrach sie. Ein so ein Blödsinn, erwiderte er. Den Holocaust hat es nie gegeben. Er begann die Nazi-Zeit zu verherrlichen, kramte eine Schachtel mit Fotos von Hitler u seinen Soldaten hervor. Während er sprach, wurde seine Stimme lauter, bestimmter, ja sogar leicht aggressiv, er hob die Hand zum Gruß. Dann begann er über die Juden zu schimpfen, welch verlogenes Volk das doch sei. Und dass er es befürwortet hätte alle zu vergasen, was leider nie passiert wäre. Er begann eine Brandrede auf die arische Rasse zu halten u das nur „wir“ reinrassigen (dazu zählte er anscheinend sie beide) ein Recht auf Leben haben.

Sie war schockiert. Wer saß ihr hier gegenüber? Was redete er da? Sie öffnete ihren Mund, um ihm zu entgegnen, doch er ließ sie nicht ausreden. Ihr wurde schlagartig klar, dass sie es mit einem fanatischen Wiederbetätiger zu tun hatte. Sie konnte sich diesen traurigen abartigen Schwachsinn nicht mehr anhören. Betroffen stand sie auf, nahm ihre Tasche u verließ das Gebäude.

Am nächsten Tag hat sie an oberster Stelle gekündigt, den Amtsleiter bei der Polizei wegen Wiederbetätigung angezeigt. Gesehen hat sie ihn nie wieder, doch die Geschichte bleibt. Seine Mimik, seine Gestik, seine Wortwahl werden ihr immer in schauriger Erinnerung bleiben.

Die junge Frau hatte damals in der Schule von der Weißen Rose gelernt, von Sophie Scholl, ihrem Bruder u den Widerstandskämpfern. Ihr Geschichteprofessor hat ihr folgendes Zitat mitgegeben, das sie sich bis heute zu Herzen nimmt:

„Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt u alles mitmacht.“ (Sophie Scholl, 1921- 1943)

Sie hat sich damals geschworen: Niemals schweigen!

© Daniela Adler 2020-11-09

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