von Sigrid Farber
Wir hatten Theaterferien in Baden bei Zürich. Mein Liebster war mit seiner Frau in die USA gejettet, mit seinem Auto fuhr ich eine Woche nach Wien, um die Familie zu besuchen, dann kehrte ich in die Schweiz zurück. Ein Kollege vom Theater hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm Ende Juli zum Theaterfestival nach Avignon zu fahren, und da ich das ganz reizvoll fand und nichts Besseres vorhatte, brausten wir eines Tages im August im Toyota von Zürich Richtung Avignon. Einfach so. Hatten nichts vorreserviert, keine Karten gebucht, nichts. Beide waren wir noch nie zuvor in Avignon gewesen.
In der Stadt angekommen, fuhren wir direkt ins Zentrum und quartierten uns im Hotel du Palais du Pape ein – in altem Gemäuer, aber leistbar. Aus Kostengründen teilten wir uns ein Zimmer wie Brüderlein und Schwesterlein, wurden aber sicher für ein Paar gehalten. Es war heiß in Avignon, so waren wir tagsüber oft im Bad anzutreffen, wo wir uns in der Sonne aalten, unsere Längen schwammen, uns Salade Niçoise schmecken ließen und an einem Glas Rosé nippten. Aber abends, da wurde es lebendig, wir hatten die Qual der Wahl: so viele Theatergruppen, so viele Bühnen, so tolles Theater. Und so leicht, Karten zu bekommen. Das Highlight war sicherlich die grandiose Aufführung des Stücks „Mephisto“ in der Regie von Ariane Mnouchkine, das später mit Klaus Maria Brandauer verfilmt wurde. Aber auch Peter Brook war da und viele andere.
Natürlich sahen wir uns auch die Stadt an – die berühmte Ruinenbrücke über die Rhône, den Papstpalast, neben dem wir wohnten, und wir machten auch Ausflüge: nach Orange, nach Arles, nach Saintes-Maries de la Mer in der Camargue. All das mit einem Mann, der nicht der meine war, nicht einmal ein Freund, aber immerhin ein guter Reisegefährte, Theaterkenner und kulturinteressiert. Außerdem war er ein Feinspitz, der mit gutem Instinkt die besten Restaurants fand – was aber in Frankreich nicht besonders schwer ist.
Wir blieben 10 Tage in Südfrankreich, dann fuhren wir über Genf nach Baden zurück. Da ich gehört hatte, wie streng die Schweizer Grenzbeamten kontrollierten, hatte ich meinem Kollegen eingeschärft, nur ja nichts Unerlaubtes – also etwa zuviel Alkohol oder Zigaretten – zu schmuggeln, und er beteuerte mir treuherzig, dass er das niemals tun würde. Ich hatte nicht gewusst, was für ein guter Schauspieler er war. Als wir die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz anstandslos passiert hatten, gestand er mir, dass er eine Tasche voller Weinflaschen im Auto hatte. Ich fiel fast in Ohnmacht, beruhigte mich aber wieder, nachdem er mir versprochen hatte, mich zur Verkostung einzuladen. Für einen Schweizer war der Mann ganz schön gerissen. Und wir hatten in der folgenden Theatersaison, in der wir die Schweiz, Deutschland und Österreich bereisten, noch viel Spaß miteinander.
© Sigrid Farber 2020-08-26