von Georg Zenz
Der Tag beginnt wie jeder andere. Ich lausche den Geräuschen des Windes bevor ich schließlich die Augen öffne. Die Morgenkälte kriecht bis in die hintersten Ecken meines Schlafsackes und außen lädt der Wind prasselnd den feinen Sand ab, der in dünnen Rinnsalen leise rieselnd abfließt.
Ich bin auf der höchsten Düne im Qued Essendilene, tief unter mir das Camp in dem Ali jetzt ein Feuer entfacht und weit im Osten bahnt sich hinter den Shiloetten von Türmen, Zinnen und pyramidenförmigen Steinkegeln ein Schauspiel an, so großartig, so einzigartig und alle Sinne betörend, dennoch so banal, ja im wahrsten Sinne des Wortes völlig alltäglich: der Sonnenaufgang!
Leuchtend orange, aprikot, lachsrosa und safrangelb der Himmel, davor die Felsentürme, wie Backenzähne aus den Kiefern ihrer eigenen Geröllhalden ragend, abgenutzt wie die Zähne der Alten halt so sind – und hier nagt nicht nur die Zeit an diesen Felsen. Wind und Sand helfen täglich diesem kariösem Verfall aber dennoch stehen jetzt die Siloetten gegen den Himmel als gäbe es keinen Verfall, keinen scheuernden Sand, kein Morgen. Die Welt wird immer so sein.
Das Orange des Himmels zieht sich zurück und weicht einem schimmernden Weiß das den gesamten Osthimmel als silberner Streif einnimmt – ein kurzer Moment des Innehaltens, des Durchatmens vor der eigentlichen Darbietung.
Als leuchtender Widerschein – das Orange hat sich in der Zwischenzeit zurück gefunden – beginnt das finale furioso – innerhalb weniger Sekunden zeigt sich ein rötlich feuriger Punkt am Horizont, wächst an zu einer brennenden Sichel, wird weiter zu einem flammenden Halbkreis und steht nach drei Minuten als tanzender Feuerball am Rand der Welt.
Jetzt treten die Berge zwischen dem Horizont und meinem Aussichtspunkt in den Reigen der Farbverschwendung ein, aus hellgrau wird blütenrosa, aus schwarz schlüsselblumengelb: die Wüste erblüht! Selbst die Düne gibt jetzt ihr Grau ab, – doch sie kann sich nicht sofort entscheiden was sie heute tragen soll, probiert innerhalb weniger Minuten alles aus: smaragddurchsetztes Ocker, seidig glänzendes Bernstein, bis es schließlich ein von Rosa und Silber durchscheinendes Honiggelb wird.
Der Horizont ist mittlerweile förmlich explodiert – grelle weiße, gelbe und orange Strahlenbündel schießen über die Ebene auf mich zu – die Sonne nur mehr als ein einziges brennendes Inferno. Good day sunshine!
Nach der Kälte der Wüstenacht taut mich diese Wärme auf, bringt Leben zurück in die starren Glieder. Dennoch ist die Freude über diese Wärme hier nur von kurzer Dauer, denn wenn gegen Mittag das Land unter der flimmernden Last wie gelähmt liegt, sehnt man sich zurück zu den fröstelnden Momenten des frühen Morgens, den Minuten des freien Durchatmens.
Das Camp ist erwacht – Stimmen dringen herauf, ich packe den Schlafsack, laufe, kleine Sandlawinen mitreißend, die Düne hinab und werde schließlich noch bevor ich das Camp erreiche, vom Duft des heißen Kaffees empfangen.
© Georg Zenz 2020-03-27