von Musenzeit
„Ooooooh maaaaan, sind wir AAAAAALT – schon 90 Jahre zusammen!!!!“
Die lautschrille Stimme in dieser Sprachnachricht, vollauf trainiert von drei Kindern und Schulalltag, knallt an mein Ohr.
Ok…tief durchatmen. Kurz zuvor lese ich folgende Geburtstagsnachricht: „Man ist nur so alt, wie man sich fühlt.“
Aha. Die Absenderin ist 64 und das Zitat sollte vermeintlich Franz Kafka der Welt an Weisheit geschenkt haben. Hat er den Satz dem Käfer in den Mund gelegt, im Schloß fallengelassen oder im Prozess eingestreut? Ach Dr. Google, du lässt Frau Hinz und Herr Kunz tippen und wildwüchsige Zitateeintöpfe kochen. Da schwimmen sie alle zusammen in der lauwarmen Brühe. Wer interessiert sich noch für die Herkunft, wenn die Weisheitskarotte mit Buchstabennudel aufm Löffel schwimmt? Neulich wurde mir angetragen: “oh, du bist ja schon so alt, ich dachte, du wärst in deinen Zwanzigern“, dann wiederum wunderte sich jemand darüber, dass ich “noch so jung” wäre.
Im Gegensatz zu mir ist J. physisch in ihren Zwanzigern auf der 30er-Zielgeraden und hält die Augen offen für potentielle Beziehungsanwärter. „Der Pilotenanwärter in der letzten Vorstellungsrunde bei uns im Unternehmen, der war echt ein fescher Typ.“ Sie schlürft verdächtig lange am Cocktail. Ihre Augen verengen sich nun merklich. „Aber da meint er so zu uns ˋJa, ich weiß, ich bin ja schon alt mit meinen 25.‘ Na Prost! Meine ältere Kollegin und ich haben uns nur angeschaut. Echt krass. Also, ich stell dann mal den Rentenantrag.“
Humor hat es jedenfalls, das Leben mit seinen amüsanten Zitateschätzen und ihren Boten! Neben wundervollsten Glückwünschen meiner herzliebsten Familie und aus meinem Freundeskreis fiel mir dieses Jahr doch auf: Die “Altersangst“ einiger lieber Mitmenschen, die ist hartnäckig. Sie mag gern wie ein Virus auf andere hüpfen. Zusammen schwitzt es sich besser. Als nächstes kommen die Trost-Karten mit dem guten Wein und schließlich landen wir beim Whiskey. Danke, den Drink würde ich lieber gleich nehmen und diese “Wünsche“ versehe ich mit “Return to sender. Not my business. Good luck!” Die machen sich vielleicht ja mal gut als Aufdruck auf einem Lauf-Shirt. Die Zeitsprintereiclubs laufen gerne quer durch die Metropolen der Welt, für Sponsoring-events jeglicher Art. Wer mag schon das mühselige Hamsterrad des zeitlosen Kreislaufs…
Ich schaue auch an diesem Tag beim Zähneputzen in den Spiegel. Dankbar bin ich für all das, was ich da sehe, wie es durch die Zeit gekommen ist, was mich hält, bewegen und lieben lässt. Was kümmert es mich, was jemand dazu meint?
Die gute Sitte schrieb vor, Frauen niemals nach dem Alter zu fragen, lasse ich mich von Robert, dem englischen Gentleman, aufklären. Aber so nach dem Sittenverfall frei raus: 45 Jahre haben sich neulich ausgeformt. YES! In anderen Kulturen und Zeiten wäre ich Großmutter. Das Zeitalter der Altersweisheit – also, mehr Respekt ab jetzt, wenn ich bitten darf!
Was heißt es eigentlich, “young at hearts” zu sein?
© Musenzeit 2021-09-30