von FelixLaner
‚Aber die ist ja nur so klein!‘ Mit diesem Satz treibt man jeden, der argen Widerwillen gegen Spinnen und anderes schreckliche Getier hat, zur Verzweiflung. Ja – auch ein Fingerhut voll Arsen ist klein, ein Schlückchen nur, und trotzdem sollte man einen großen Bogen drum herum machen.
Ab meinem zehnten Lebensjahr änderte sich meine nächtliche Existenz sehr zu meinen Ungunsten. Meine Eltern zogen aufs Land, mein Bruder und ich mit. Es gab einen großen Garten. Und riesige schwarze Spinnen, die nur eine Lebensmaxime kannten: den Garten hinter sich zu lassen und in den Keller vorzudringen, um von dort aus das Haus zu erobern. Es gab auch Wespen, stechende Mücken, Kellerasseln, harmlose Stubenfliegen und Nachfalter. Alle waren sie mir zuwider. Aber die schwarzen Spinnen waren mir ein ganz besonderes Martyrium.
Abends, nachts saßen sie mit einem Mal als dunkler Fleck auf den hellen Wänden. Man hörte sie nicht kommen, plötzlich war eine da. Geräuschlos, bewegungslos, eine schweigende Drohung.
Fürs Schlafengehen hatte ich mir eine Technik angewöhnt, die ein neutraler Beobachter mit verständnislosem Kopfschütteln quittiert hätte: Wenn ich abends von der sicheren Stube im Erdgeschoss nach oben in mein Zimmer musste, um ins Bett zu gehen, tastete ich mich im Dunkeln die Treppe hinauf, dann links ins Bad, schloss die Badtür und machte erst dort Licht. Das Bad war klein und überschaubar, dorthin verirrten sich die Untiere selten, dennoch war ein prüfender Rundumblick vor dem Betreten unerlässlich. Der restliche Weg aus dem Bad heraus nach links, dann rechts ins Zimmer und bis zum Bett verlief wieder im Dunkeln tastend. Der Vorteil dieser Taktik: Die schwarzen Monster verblieben in der Finsternis, man musste keinem gegenübertreten, sich ihm nicht stellen. Mit etwas Glück konnte man einschlafen ohne etwas wahrgenommen zu haben.
Ich las für mein Leben gern, auch für die Schule hätte es oft genug noch etwas zu wiederholen gegeben, doch um nichts in der Welt hätte ich im Bett noch einmal Licht gemacht – um dann womöglich unvermittelt den schwarzen Leib auf der hellen Wand zu bemerken, der bereit war sich auf einen loszustürzen, sich in einen zu verbeißen. Oft kam es zu entsetzlichen Zweikämpfen zwischen einem der Biester und mir. Wenn sie sich in der Hitze des Duells von der Wand auf den dunkelgrünen, langfasrigen Teppichboden fallen ließen, waren sie kaum mehr aufzufinden. Dann musste ich nächtens, die Füße hochgezogen, lange Zeit im Sessel verbringen, bis das Untier wieder auf einer der gelben Wände sichtbar wurde und der Kampf seine Fortsetzung fand. Nein, das Landleben hat auf meine Jugend einen Schatten geworfen, mir viel nächtliches Leid beschert.
Noch nach Jahrzehnten klingt mir der Abendspruch meiner Mutter, selbst keine Spinnenfreundin, in den Ohren: ‚Spinne am Abend, erquickend und labend‘. Das war als Trost gemeint, weil sie wusste, warum ich abends zögerte das sichere Wohnzimmer zu verlassen. Mir aber klang es wie Hohn.
© FelixLaner 2020-06-25