von Luna Winkler
Vage Schattenzeichnungen sehe ich an der Decke tanzen, angetrieben von der Sonne, die durch die schmalen Luken des Rollos fallen, als meine Augen dagegen anblinzeln. Sofortige Müdigkeit schlägt mir entgegen, ebenso wie die Realität, als ich neben mich taste und enttäuscht feststelle, dass ich hier alleine liege.
In einem fremden Bett, unter fremden Lacken, in dem Zimmer meiner Tante, nicht dem meinem. Wie in Trance setze ich mich auf, langsam, streiche mir krause Strähnen aus dem Gesicht und befühle meine brennenden Augenlider, geschwollen und rot von den Tränen, die auch mein Kissen gestrige Nacht befeuchtet haben.
Gestrige Nacht. Trotz dieser Tatsache fühle ich mich gut. Zumindest bis ich mich erhebe, mit taumelnden Schritten ins Bad laufe und bald am gedeckten Frühstückstisch Platz nehme. Wie von einer fremden Hand gesteuert, schmiere ich mir meine Semmel, durchstöbere die Zeitung und fühle mich durch die globalen Schlagzeilen in meiner inneren Leere bestätigt.
Zu Mittag hin liege ich erneut auf der schütteren Matratze, abwesend, beinahe komatös zur hölzernen Decke starrend, mich selbst nach so vielen Dingen fragend, auf die ich keine Antworten bekam und selbst nicht in der Lage war zu finden. Mit Musik in den Ohren, der Song selbst schon über ein Jahrzehnt alt, der Text aktueller, spürbar schmerzender und ehrlicher als je zuvor. Stille der Titel.
Sie ist es, die ich suche, während ich gen Himmel starre, in der Sonne sitzend, deren Strahlen es nicht vermögen meine frierenden, von Kälte eingenommenen Glieder zu erwärmen. Ich denke an eine meiner Romanfiguren. Ich bin diese Romanfigur. Denn auch ihr Herz belagert Frost, unwillig zu weichen, unmöglich zu vertreiben.
Heißes Wasser prasselt auf mich herab, ein weiterer Versuch, meinen von Gedanken beschlagnahmten Kopf frei zu kriegen, das Karussell der Seelenqualen anzuhalten, nur für den Moment die Dauerschleife zu pausieren — vergeblich.
Tropfnass trete ich aus der Duschkabine, selbst jetzt fühlt sich meine Haut klebrig und verschwitzt an, trotz der zu Berge stehenden Härchen auf meinen Armen.
Ich betrachte mein Gegenüber, das da vor mir steht, meinem Spiegelbild erschreckend ähnlich. Mustere die immer noch schweren Lider, die den Augen die klare Sicht erschweren, unter denen tiefe Balken liegen. Sehe meinen nassen Haarspitzen zu, von deren Enden es regelmäßig auf den gefliesten Boden vor meinen Füßen tropft.
Langsam ziehe ich mich an, verpacke den noch feuchten Körper in einer Schicht aus Kleidung, verstecke ihn vor den gierigen Händen der Selbstzweifel und den lüsternden Blicken des Schams. Lege die Socken auf mein nicht gemachtes Bett, lege mich zu ihnen und denke nach, wie sooft, vielleicht zu oft und immer an dasselbe.
Gestrige Nacht. Worte. Taten.
Fasse einen Gedanken. Noch einen. Greife nach dem Handy, beginne zu tippen. Spüre die Leichtigkeit des Schreibens, wie die Last zögerlich die Schultern freilässt.
Schreibe diese bedeutungslosen Zeilen.
© Luna Winkler 2021-09-01