Er sitzt auf dem Bett und hustet einige Male, dann sieht er mich mit leicht glasigen Augen aber freudigem Gesichtsausdruck an. Ich richte ihn auf, frage: Ob das so passt, und er nickt zaghaft, als wäre er sich selbst nicht sicher. Seine Hände sind kalt. Seine Füße mit Sicherheit genauso. Ich stehe kurz auf, gehe zu seinem Schrank und hole die dicken Wollsocken, die ihm seine Tochter gebracht hat aus dem Kasten raus. Wenn man schon hier liegen muss, dann ist es ja wohl das Mindestes, dass man keine kalten Füße hat.
„Darf ich?“ Er lächelt und ich deute das als eine JA. In der Ausbildung bringen sie einem das kleine Einmaleins bei. Was man tun soll und was nicht, aber wie man mit der Emotion umgeht, wie es einem selbst dabei geht, darüber wird viel zu wenig geredet. Schon klar: Nachbetreuung und so’n scheiß. Aber das reicht nie. Und schon ist man beim Nächsten.
Sei’s drum‘, meine Aufgabe besteht ja nicht darin ein Umfeld zu kreieren, in dem ich mich wohl fühle. Es heißt immer, man soll eine Art mindeste Abstand halten – emotional gesehen, aber das ist purer theoretische Scheiße. Zumindest für mich. In der Praxis funktioniert das nie!
Er hustet erneut. Ich richte ihn weiter auf, in eine fast senkrechte Position, damit ihm das Atmen leichter fällt. In den letzten Tagen haben wir uns viel Unterhalten. Unsere Meinungen gingen dabei so weit auseinander, wie das bei zwei Menschen überhaupt möglich ist. Der Altersunterschied. Woanders würden wir bestimmt streiten – so sehr liegen wir auseinander. Aber hier ist alles anders!
Ich höre gern zu. Er genauso. Vielleicht ist man bei Diskussionen einfach grundsätzlich weniger emotional, wenn man begreift, wie unwichtig sie sind, wenn sich das Ende wie ein Schatten über einen breitet.
Später am Abend kommen die Familienangehörigen. Sie verstehen, dass es vermutlich das letzte Mal ist. Nein nicht vermutlich! Sicher sogar! Sie kommen, um sich zu verabschieden. Alle wirken äußerst gefasst, zumindest im Zimmer. Und draußen fließen dann die Tränen. Nicht bei allen, aber den meisten. Manchmal da kommt es einem so vor, als würden Menschen solange kämpfen und durchhalten, um ihren liebsten diesen Moment des Abschieds zu ermöglichen.
Hans Fallad hat ein Buch geschrieben. Es heißt: Jeder stirbt für sich alleine. Auch wenn das richtig sein mag, so bin ich trotzdem überzeugt davon, dass die Augenblicke davor entscheidend sind, wie wir diese Welt verlassen.
Die Familie geht. Er redet wirres Zeug. Keine Seltenheit. Er darf ein wenig Musik hören. Dann schläft er ein.
© David-Rosterberger 2022-02-18