Sternschnuppen

Julia Heckmann

von Julia Heckmann

Story

Ich sitze in eine kuschelige Decke eingewickelt auf dem Balkon und beobachte die Sterne. Es ist Sternschnuppennacht. Das ist Balsam für meine müde Seele. Das Licht des Mondes spiegelt sich auf der Folie wider, in der ich Keylams Brief aufbewahre und immer bei mir trage. Es ist eine wunderschöne friedliche Nacht. Immer wenn solch eine Sternschnuppennacht war, fuhren Keylam und ich an den nahegelegenen See und legten uns auf einer Decke ans Ufer. Er hatte immer einen Arm um mich gelegt und wir sahen nach oben in den Himmel zu den Sternen. Solange er seinen Arm um mich gelegt hatte, fühlte es sich an, als würde ich zu den Sternen nach oben schweben. „Wie kann ein Kopf nur über so vieles nachdenken. Komm, schau wie schön die Sterne aussehen!“, sagte er. Diese Worte hörte ich oft von ihm. Er war der Typ Mensch, der im Hier und Jetzt lebte. Für diesen einen Augenblick. Vielleicht wollte er deshalb die meiste Zeit mit mir verbringen und immer die verrücktesten Dinge tun. Ich war immer schon eher der gedankenversunkene Mensch. Keylam hat mir gezeigt, wie schön es im Hier und Jetzt sein kann und dass morgen und gestern plötzlich nicht mehr wichtig erscheinen, wenn man den perfekten Augenblick einfängt. Kurzerhand entschließe ich mich zu dem See zu fahren, an dem wir sonst immer Sternschnuppen beobachtet haben. Schon auf dem Weg im Auto sehe ich, wie es geradezu Sternschnuppen regnet. Ein Schauer lässt sich nieder und je näher ich zum See gelange, desto schöner wirkt das Spektakel. Angekommen, setze ich mich mit unserer Decke ans Ufer und schaue fasziniert herauf. Einen Moment lang bin ich völlig gefangen im Hier und Jetzt und genieße, wie alles andere plötzlich unwichtig wird. Ich denke an Keylams Worte und plötzlich wird mir klar, dass es keinen Sinn ergibt auf ein Happy End zu hoffen. Nicht jede Geschichte hat ein Happy End und ich würde jeden Tag im Morgen schwelgen, wenn ich darauf hoffen würde. Vielleicht hat unsere Geschichte kein Happy End. Vielleicht hat auch meine Geschichte auf dieser Erde kein Happy End. Doch wir hatten beide unglaublich viele glückliche Augenblicke im Hier und Jetzt. Und die meisten habe ich Keylam zu verdanken, weil er mir Hoffnung geschenkt hat, egal wie schwarz alles war und weil er mir die Bedeutung des Hier und Jetzt gezeigt hat. Es ist nicht wichtig, wie schwarz gestern war oder wie schwarz morgen sein wird. Heute ist alles bunt. Wir alle brauchen einen Hoffnungsschimmer im Leben. Keylam war mein Hoffnungsschimmer. Ich hoffe sehr, eines Tages eine andere Quelle der Hoffnung zu finden – nicht um ihn zu ersetzen, sondern nur um weiterzumachen. Das Schreiben könnte mein nächster Hoffnungsschimmer sein, so wie Keylam es mir immer gesagt hatte. Doch bis dahin werde ich hoffnungsvoll sein, solange ich die Sonne auf meiner Haut spüre, solange sich Schneeflocken auf meinem Haar niederlassen, solange es Sternschnuppen regnet, solange ich Keylams Brief lesen kann und solange mein Herz nicht aufhört zu schlagen.

© Julia Heckmann 2021-08-31

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