Stille Nacht in der Wachau

Eva Filice

von Eva Filice

Story

Ein Ausflug in die Wachau war als Abschlussfahrt geplant. Die Schüler:innen der 4. Klasse Volksschule freuten sich auf diesen Tag. Die Donau durchfließt die wunderschöne Wachau, an deren Hängen Weingärten liegen und an deren Ufer viele Marillenbäume gedeihen. In einem Projekt, das der Vorbereitung des Ausflugs diente, erarbeiteten die Schüler:innen ihr Wissen über die Wachau.

Ein Autobusbrachte die Schulkinder der beiden 4. Klassenbegleitet von vier Lehrer:innen an einem sonnigen Junitag bis Melk. Nur wenige Kinder kannten die Wachau. Zuerst statteten wir dem imposanten Benediktinerkloster Stift Melk einen Besuch ab. Die Schüler:innen staunten über die Größe der barocken Abtei und über die Position hoch über der Donau.

Eine Pause zum Verarbeiten der neuen Eindrücke war erforderlich. Bei einem Picknick erholten und stärkten sich die jungen Neo-Tourist:innen. Die Erwartung auf das große Ereignis des Tages steigerte sich. Eine Schifffahrt auf der Donau von Melk nach Krems war für alle Kinder ein erstmaliges Ereignis.

Wir konnten im Freien Platz nehmen. Die Kinder verwiesen aufgeregt auf Entdeckungen wie auf andere Schiffe, auf die Burgen hoch auf den Felsen, auf arbeitende Menschen in den steilen Weinbergen, auf Fischer und auf Badende.

Einige Kinder begannen Lieder zu singen, andere zeichneten ihre Eindrücke auf. Nach einer Weile gesellten sich zu dem Singkreis die anderen Schüler:innen. Es war eine sing-freudige Klasse. Thomas kam zu mir und stellte mit Bedauern fest, dass auf dem Schiff Menschen sind, die er nicht verstehe. Ein Mann mit einem großen Hut sprach ihn an, er glaubt, dass er Englisch redet. Vielleicht ist das ein Cowboy, vermutete Thomas.

Der Gesang der Kinder lockte auch mehrere Zuhörer:innen an. Thomas zeigte auf den Mann mit dem großen Hut. Der kam auf uns zu und lobte den fröhlichen Gesang der Kinder. Die Gruppe kam aus Texas und war das erste Mal in Österreich. Sie wollten auch nach Salzburg fahren und dort eine bestimmte Kapelle besichtigen. Er trug uns den Lied-Wunsch seiner Reisegruppe vor. Ein Lied, das von Österreich aus die ganze Welt erobert hatte, wollten sie hören. “Please sing for us Silent Night, Holy Night”, flehte mich der Texaner an. Ich entgegnete, dass wir das nur zu Weihnachten singen und lehnte ab.

Die Kinder überzeugten mich aber, dass wir eine Ausnahme machen sollten. Wir würden den Tourist:innen Freude bereiten. Mit wenig Begeisterung stimmte ich “Stille Nacht, heilige Nacht” an. Die Kinder sangen mit Engelsstimmen. Auf dem Schiff trat eine Stille ein, wie sie oft am Hl. Abend in der Kirche vermisst wird. Mir lief Gänsehaut über den Rücken, als ich die andächtigen Kinder und Texaner:innen betrachtete. Mit großem Applaus wurde der Darbietung Anerkennung gezollt. Der begeisterte texanische “Cowboy” verteilte Gedenkmünzen an die Kinder. Sie empfanden den Gesang des Weihnachtsliedes an einem heißen Junitag auf einem Donauschiff als das schönste Erlebnis des Tages.

© Eva Filice 2022-12-07

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