von Josef Peneder
Einige Jahre lang trafen wir uns monatlich beim Aquarianer- und Terrarianer-Stammtisch im Gasthaus „Zur ewigen Ruh“. So manche erstaunliche Geschichte wurde hier zum Besten gegeben. Eine besonders groteske war die folgende, die vom Strontium.
Meist verbindet man dieses chemische Element mit Radioaktivität und Gefahr. Es wird aber neuerdings auch als Spurenelement in der Meerwasseraquaristik verwendet, da es Skelettbestandteil von Steinkorallen und daher für deren Wachstum bedeutsam ist. Hier wird es als Strontiumchlorid-Hexahydrat ins Aquarium eingebracht, sehr vorsichtig dosiert, da es für andere Lebewesen wiederum giftig ist.
Einer unserer Stammtischfreunde hatte sich nun in den Kopf gesetzt, in seinem großen Meeresaquarium auch lebende Korallen zu pflegen. Nach ausführlichen Studien neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse beschloss er, fürderhin regelmäßig kleine Dosen Strontium zuzuführen. Als Arzt erhielt er diesen Stoff auch problemlos. Langwierige Berechnungen ergaben für die vorhandene Wassermenge etwa 3 ccm Lösung. So schritt er also eines schönen Abends ans Werk.
Um es gleichmäßig zuzuführen und zu verteilen, schien es ihm nützlich, das Strontium in einer Spritze langsam in den Filterschlauch zu injizieren. Hier würde es sich gut vermischen und fortan als Spurenelement seinen Korallen kräftiges Wachstum bescheren.
Da der Schlauch hinter dem Becken etwas schwer erreichbar war, musste er sich nun leicht gebückt krümmen, die Linke hielt den Schlauch, die Rechte setzte die Spritze an, um kräftig zuzustoßen. Er atmete tief ein, beugte sich nach vorn, die Muskeln spannten sich – just in diesem Augenblick läutete das Handy! Er erschrak, die Spritze rutschte ab, die Nadel traf den Daumen und im Nach-Vorne-Kippen injizierte er sich die gesamten 3 ccm Strontium selbst unter die Haut.
Ungläubig starrte unser Stammtischfreund auf seine Finger. Was würde jetzt passieren? Nach ein paar Schrecksekunden nahm er sein Handy, die Ursache dieses Desasters, und rief die Vergiftungszentrale in Wien an.
Es meldete sich ein freundlicher junger Mann: „Vergiftungszentrale, wie kann ich helfen?“
„Ich habe mir gerade 3 ccm Strontium injiziert“, erklärte unser Arzt. „Was soll ich tun?“
Am anderen Ende der Leitung war es kurz still, dann meinte der junge Mann: „Bleiben Sie bitte dran, ich schaue nach.“
Nach einer bangen Minute, die unserem Freund wie eine Ewigkeit erschien, meldete er sich wieder: „Ich kann Ihnen da leider nicht weiterhelfen“, meinte er bedauernd, „so einen Fall hat es weltweit noch nie gegeben!“
„Und was soll ich jetzt machen?“
„Keine Ahnung. Aber es wäre nett, wenn Sie uns in drei, vier Tagen wieder anrufen könnten und berichten, wie es Ihnen geht!“
Der angehende Korallenzüchter hat diesen bemerkenswerten Unfall übrigens gut verkraftet. Symptome wie spärlicher Haarwuchs, nervöses Zucken oder spontanes Grinsen, darin waren wir uns einig, hatte er schon vorher gezeigt.
© Josef Peneder 2021-01-21