In meinem Wohnzimmer hängt ein Gemälde. Es zeigt in dunklen Ölfarben auf Leinwand im Format 50 x 40 cm ein Schiff in stürmischen Gefilden. Es stammt weder von einem berühmten Künstler, noch hat es einen hohen materiellen Wert. Es ist auch nicht alt, sondern aus 2001. Dennoch ist es ein Bild mit Geschichte. Kurz vor der Jahrtausendwende verliebte ich mich in eine Frau, die ich ganz oldschool in einem Tanzcafé an der Bar kennengelernt hatte. Genauer gesagt, war ich beim Gang auf die Toilette über ihre wunderschönen Beine gestolpert. Wir verbrachten sieben gemeinsame, wunderbare aber auch ziemlich stürmische Jahre, geprägt von vielen Ups & Downs.
Besagtes Gemälde wurde vom künstlerisch sehr begabten Bruder meiner damaligen Lebenspartnerin angefertigt. Ich, der ich das Meer, die Weite und alte Segelschiffe ob ihrer Anmut liebe, hatte mir zum Geburtstag ein Bild fürs Wohnzimmer gewünscht. Ich hatte dem Künstler das Bild eines eleganten Windjammers mit turmhohen Masten und aufgeblähten Segeln, eine Dreimastbark, gezeigt. Auf ruhigem Meer, mit Felsklippen im Hintergrund und bauschigen Wolken am blauen Himmel. So als Anregung, was ich mir als Wandschmuck vorstellte. Als mir meine Liebste Wochen später das Gemälde überreichte, hätte ich beinahe die Segel gestrichen: Soviel Schwarz, soviel Sturm, soviel Wucht, soviel Bewegung, soviel Chaos, so bedrohlich. Versteh mich nicht falsch: maltechnisch brillant, künstlerisch raffiniert, jeder Pinselstrich sitzt, die historischen Details des Seglers exakt wiedergegeben. Der Mann versteht sein Handwerk. Nur die Szenerie ließ mich schaudern:
Ein Segelschiff mit teils gerefften und teils vom Wind zerzausten Segeln in schwerem Sturm mit Blitz und Donner um sein Überleben kämpfend, keine Menschenseele an Bord zu sehen. Schwere Brecher überfluten das Deck, das Schiff hat schwere Schlagseite, weit um kein Land in Sicht. Es könnte ein Piratenschiff sein, ein Seelenverkäufer, ein Schiff auf dem Weg, zum „Fliegenden Holländer“ zu werden und dazu verdammt, auf ewig als Geisterschiff die Meere unsicher zu machen. Ein ziemlich wildes Motiv also, dass mit Seefahrtsromantik wenig, mit Seefahrtshistorie wohl mehr zu tun hat. Ich hab das Bild in Würdigung der künstlerischen Leistung und zur Freude meiner Gefährtin trotzdem aufgehängt und ihm einen Ehrenplatz gegeben. Die Beziehung endete 2006 wenig überraschend, aber weitgehend friedlich (und nicht im Hafen der Ehe). Sie ging, das Bild blieb. Wenn ich es heute betrachte, erscheint es mir wie eine Allegorie auf unsere gemeinsame wilde Zeit, der wenig Ruhe und Romantik, dafür viel Sturm und Drang beschieden war. Der Künstler hat – wohl unbewusst – dies allegorisch vorweggenommen und der Zeit ein bildliches Denkmal gesetzt. Dies eine Bild sagt mehr aus über uns als alle Fotoalben zusammen. Ich möchte diese Zeit dennoch nicht missen und daher werde ich mich auch niemals von dem Bild trennen.
Vielleicht hänge ich irgendwann mal das Bild eines in einem ruhigen, mediterranen, sonnenbeschienenen Hafen vor Anker liegenden Windjammers daneben. Mit weiß gekleideten Matrosen, die gewandt in der Takelage herumklettern, während der Kapitän Pfeife rauchend lässig an der Reling lehnt und seinen Grog trinkt. So als Allegorie für das Leben, das ich mir eigentlich gewünscht hätte.
© Klaus P. Achleitner 2025-01-08