Toast Hawaii zu Weihnachten

Lilly Frost

von Lilly Frost

Story

Mit zwölf Jahren besuchte ich einen Kochkurs, wobei Kochkurs ein wenig übertrieben ist. Es war mehr ein Seminar, in dem man ganz einfache Basics in der Küche lernte: Gemüse schnippeln, eine Eierspeise zubereiten, Nudeln al dente kochen. Eines Tages – es war im Advent – kam ich voller Enthusiasmus von dem Kurs nach Hause und erklärte meiner Mutter, ich würde heute Abend das Essen zubereiten. Ich hatte Toastbrot, Schinken, Käsescheiben und Dosen-Ananas eingekauft. Meine Mutter sah sich die Zutaten stirnrunzelnd an, ließ mich dann aber in Ruhe machen.

Eine halbe Stunde später zog ich das Blech mit den überbackenen Toastscheiben aus dem Ofen. Mein Vater blickte noch skeptischer drein als zuvor meine Mutter, aber angesichts seines knurrenden Magens, wagte er den Versuch. Und siehe da: Es schmeckte!

Nun sind wir keine traditionell österreichische Familie. Meine Mutter ist Amerikanerin und solange ich mich erinnern kann, wurden amerikanische mit österreichischen Traditionen vermischt. So hängte meine Mutter jedes Jahr zu Weihnachten einen selbstgestrickten Strumpf auf, den Santa Claus mit allerlei Leckereien füllte. Wir sangen zu Johnny Mathis‘ Rudolph, The Red Nosed Reindeer und buken nicht nur Lebkuchen und Vanillekipferl, sondern auch Peanut Butter Cookies und Fudge. Am Heiligabend ging es aber in die Kindermette und danach kam dann doch das Christkind. Mit Glöckchen und allem Drum und Dran. Für mich war das als Kind völlig in Ordnung und wurde nie hinterfragt.

So gab es auch kein typisches österreichisches Weihnachtsessen am Heiligen Abend. Statt Würstelsuppe kochte meine Mama meistens eine amerikanische Kartoffelsuppe mit Speckwürfeln und Sauerrahm oder es wurde einfach eine Jause zubereitet. Das änderte sich nach jenem Abend, an dem ich zum ersten Mal Toast Hawaii machte.

„Das könnten wir doch auch am Heiligen Abend essen“, meinte meine Mutter. „Geht schnell, ist nicht viel Arbeit und schmeckt lecker. Was haltet ihr davon?“

Mein Vater und ich waren einverstanden. Und so kam es, dass in den darauffolgenden Jahren stets Toast Hawaii am Weihnachtsabend auf den Tisch kann. Auch meine Kinder sind mit dieser „Weihnachtstradition“ aufgewachsen. Mittlerweile gibt es zwar erst die berühmte Kartoffelsuppe meiner Mutter und im Anschluss den mit Ananas und Käse überbackenen Toast, aber die Tradition ist geblieben.

Viele Freunde meiner Kinder, darunter ein Studienkollege meines Sohnes aus China, haben Weihnachten in den letzten Jahren mit uns gefeiert. Die meisten haben erst einmal die Stirn gerunzelt und konnte unserer lieb gewonnen Tradition dann doch etwas abgewinnen.

Kürzlich bekam ich zum Geburtstag ein Büchlein mit dem Titel „Mama – was ich an dir liebe“ von meiner Tochter geschenkt. Neben vielen rührenden Erinnerungen, gab es eine Seite, auf der es um Traditionen ging, die sie besonders liebte und einmal für ihre Familie übernehmen wollte. Ganz oben stand: den Toast Hawaii an Heiligabend.

© Lilly Frost 2021-12-12

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