von Corinna Winter
“Toi, toi, toi, liebste Fenia!”
Ich lächelte, als ich die Karte sah, denn meine geliebten Kollegen hatten sich Mal wieder selbst übertroffen. Die Karte war knallbunt, genauso, wie ich es am liebsten mochte, voller Sticker und lustiger Zeichnungen, allesamt Karikaturen unseres Ensembles und ganz besonders der Choreographin. Garniert war alles mit kandierten Früchten und Blüten, all meinen liebsten Leckereien.
Ich liebte meine Kollegen, die mich so gut kannten. Aber so war es unter uns Tänzern, wir verbrachten so viel Zeit zusammen bei jeder Probe, jeder Aufführung, dass wir wahrlich eine Familie wurden, bei jeder Inszenierung aufs Neue. Bisher hatte mich jede dieser gefundenen Familien warmherziger aufgenommen als meine leiblichen Eltern. Ob sie heute hier bei unserer Uraufführung im Publikum sitzen würden?
Ich bezweifelte es. Für meinen Vater war Ballett nur stupides Gehopse und die Musik langweilig, dafür Wein und Bier in der Pause interessant. Meine Mutter liebte Tanz und Musik jeder Art so sehr wie ich, aber in einem dunklen, stickigen Raum zu sitzen, umrundet von Fremden, das gefiel ihr gar nicht.
Beides wunderte mich wenig. Nach all den Jahren, die ich einmal dort verbracht hatte und einmal da, hin und her gerissen zwischen zwei mir gleichsam fremden Welten, wunderte mich eigentlich nur mehr, dass die beiden einander überhaupt kennen und zumindest für eine kurze Zeit lieben gelernt hatten. Es klang wie ein schlechter Witz, der Automechaniker und die Fee. Aber ich war der lebende Beweis für die gemeinsame Vergangenheit der beiden. Aber ich war ein Paradox, ein Fremdkörper in der jeweiligen Welt meiner Eltern. Für die Welt meiner übernatürlich schönen Mutter war ich zu plump, für die raue Welt meines Vaters war ich zu fragil. Zuhause war ich weder dort noch da. Ich passte nirgendwo hin.
Traurig betrachtete ich mein Spiegelbild und erblickte die Fliederfee. Da sprach ihre Weisheit zu mir: du hast keinen festen Platz, also kannst du dir einen erschaffen.
Nicht nur das, ich hatte ihn mir bereits erschaffen. Hier, im Theater, auf der Bühne, umringt von Gleichgesinnten, die mit mir die Freude des Balletts teilten.
Ich lächelte mir selbst als Fliederfee zu und wandte mich um, schritt mit neuer Energie der Bühne entgegen.
Was immer mich erwartete, ich würde allem mit der Weisheit des Flieders und der Leichtigkeit des Tanzes begegnen. Und für den Rest?
Toi, toi, toi!
© Corinna Winter 2025-03-28