von Nina Waldkirch
Als ich als Kind mit meinen Eltern auf den Seychellen war, machten wir auf der Insel Praslin einen Ausflug zu einer einsamen Bucht namens Anse Georgette. Ich weiß noch, dass wir Stunden durch den dichten Palmen-Dschungel wandern mussten – teils querfeldein. Auf unserer abenteuerlichen Route stießen wir auf einen alten Friedhof und eine traditionelle Kokosmühle. Moskitos waren unsere ständigen Wegbegleiter in der unter dem Blätterdach aufgestauten, schwülen Luft. Bis schließlich eine frische Meeresbrise unsere Ankunft ankündigte und sich das grüne Dickicht lichtete, um den Blick auf einen naturbelassenen Sandstrand freizugeben. Dank der typisch kreolischen Granitfelsen lag das glasklare, türkisfarbene Meer ruhig wie Badewannenwasser vor uns. Der Sand war so weiß, dass man fast geblendet wurde. Begeistert zog ich meine Schuhe und Kleider aus und rannte in das warme Meer. Der Quarzsand war so weich, dass er sich zwischen meinen Zehen wie Yoghurt anfühlte – als würde man auf zarten, flauschigen Wolken schweben. Ganze vier Stunden badete und watete ich in dem flüssigen Himmel – so lange, bis meine Lippen schon ganz blau angelaufen waren und wir unseren Rückweg antreten mussten. Es war ein perfekter Tag im Paradies.
2015 beschließen mein Mann und ich, in unseren Flitterwochen einen Abstecher auf Praslin zu machen. Natürlich steht ein Besuch der Anse Georgette bei mir an oberster Stelle. Leider muss ich jedoch feststellen, dass dort mittlerweile ein Sechs-Sterne-Hotel inklusive Golfplatz errichtet wurde, und man sich zwei Tage im Voraus für einen Besuch anmelden muss. Aus Neugierde buchen wir trotzdem einen Badetag an der Bucht. Am Eingang des riesigen Geländes holt uns ein Golf Caddy ab und fährt mit uns eine gefühlte Ewigkeit auf säuberlich geschlungenen Pfaden neben akkurat getrimmten Rasenflächen entlang. Von dem einstigen Urwald ist nichts mehr übrig. Auch die Mühle und der Friedhof scheinen dem Tourismus zum Opfer gefallen zu sein. Stattdessen grüßen uns in regelmäßigen Abständen Golfspieler. Schließlich hält der Fahrer an. Ab hier sind es nur noch zehn Minuten Fußweg bis zur Anse Georgette. Wir passieren einen ordentlich angelegten Teich und überqueren einen weiteren Golfabschnitt, um dann auf einen kleinen Palmenwald zu treffen. Schon kurz darauf setzt der Strand ein. Ohne stundenlange Wanderung habe ich beinahe das Gefühl, es nicht verdient zuhaben, hier zu sein. Mit der Bucht von damals hat das allerdings nichts mehr zu tun: Im Lauf der Jahre hat das Meer die Insel ‚gefressen‘, sodass der Strand viel kleiner geworden ist, und weniger geschützt liegt. Jetzt klatschen die Wellen hart auf die rauen Granitfelsen. Überall verteilt liegen Badegäste auf ihren Spa-Tüchern, im Meer spielt eine Männergruppe Ball. Für mich bricht eine Welt zusammen. Der Tourismus hat nicht nur meine Kindheitserinnerung, sondern auch ursprüngliche Natur und kreolisches Erbe unwiderruflich zerstört.
© Nina Waldkirch 2021-03-20