Die furchtbaren nicht vorhersehbaren Ereignisse treffen uns immer unvorbereitet. Schlimme Nachrichten tauchen aus dem Nichts auf und nehmen uns unsere Sicherheit, die wir glauben zu besitzen. Sie reißen ein Loch in unser Herz und wir verlieren den Boden unter den Füßen. Totaler Kontrollverlust. Wie anmaßend zu glauben wir hätten unser Leben unter Kontrolle, als könnten wir irgendetwas kontrollieren. Der Tod ist mitten unter uns, auch wenn wir versuchen diese Tatsache zu ignorieren. Diese Erkenntnis trifft uns erst, wenn wir damit konfrontiert werden. Alles fordert seinen Tribut.
Vor drei Monaten verspürte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Schmerz, der sich nur schwer beschreiben lässt. Der Tag begann wie immer und doch war er anders. Ein ganz normaler Samstag dachte ich, dann kam dieser Anruf. Eine fremde Stimme teilte mir mit, dass mein geliebter vier Jahre jüngerer Bruder verstorben sei. Mein erster Gedanke war, das muss ein Irrtum sein. Ich hatte doch am Vortag mit ihm telefoniert und es ging ihm gut. Gehirnblutung nannte die Krankenschwester als Todesursache. Niemand hat damit gerechnet. Dieser Verlust ist ein Gefühl, dass sich schwer mit Worten ausdrücken lässt. Dieser Schmerz ist so unglaublich gewaltig, dass nichts mehr so ist wie es vorher war. Er fehlt einfach an jedem Tag. Er war nicht nur mein Bruder, sondern auch mein bester Freund und Vertrauter. Ein Unikat, einzigartig in jeder Hinsicht. Plötzlich ist er nicht mehr an meiner Seite. Keine langen Telefonate, keine lustigen Familienfeiern, keine Geschichten aus der Vergangenheit, die wir gemeinsam zum Besten geben können, um unsere Freunde zum Lachen zu bringen. Wie soll ich unbeschwert weiterleben? Mein Vertrauen in das Universum ist verloren. Dieses Loch und diese Leere, die er hinterlässt, können mit nichts und niemanden aufgefüllt werden. Welchen Sinn ergibt das alles? Wohin führt uns unser Weg, wenn unsere geliebten Wegbegleiter verschwinden? Die Worte, das Leben geht weiter oder der Tod gehört zum Leben, sind nicht hilfreich. Wo wird von nun an mein Platz sein? Und doch muss ich stark sein, für meine Mutter, meinen Vater, für meinen Mann und meine Tochter. Aber wie geht das, wenn mein Innerstes nach außen gekehrt ist? Wann nimmt man sich die Zeit zu trauern, in unserer schnelllebigen Welt? Also versuche ich die Trauer zu verdrängen, um weiterzumachen. An manchen Tagen gelingt es mir, aber an manchen überhaupt nicht. Die Trauer bäumt sich auf, manchmal in langen und manchmal in kurzen Episoden. Unabhängig von der Tageszeit. Also muss ich lernen mir selbst die Erlaubnis zu geben zu trauern und Gefühle wie Verzweiflung, Traurigkeit, Wut, Leere und Schmerz zuzulassen. Ich muss lernen sie zu akzeptieren, um mich selbst und somit mein Leben wiederzufinden, das wird nicht leicht, das ist mir bewusst, aber sie zu verdrängen, wird mich umbringen. Es wird ein langer Prozess des Loslassens. Trotz der Trauer und dem Schmerz verspüre ich auch eine große Dankbarkeit für die wunderschöne Zeit, die wir gemeinsam hatten. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen irgendwann bleibt und spendet mir Trost. Vielleicht passt er jetzt auf mich auf, wie ich früher auf ihn. Mein Schutzengel. Dieser Gedanke lässt mich weiterleben und gibt mir Kraft.
© Sylvia Zemlyak-Böhm 2024-07-18