von Alina Steffen
Verwelkte Blumen in großen Kübeln zierten den Eingang des Seniorenheims. Meine Mutter und ich taten einen tiefen Atemzug bevor wir durch die gläserne Tür ins Innere traten. Eine freundliche Empfangsdame wies uns den Weg und in null Komma nichts befanden wir uns vor einer schlichten hölzernen Tür. Aus dem Inneren drangen die Stimme meiner Paten auf den Flur.
Alles in mir zog sich zusammen. Ich wollte nicht durch diese Tür treten. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen als meine Mutter die Tür öffnete.
Das Zimmer war in einem hellen Holz eingerichtet. Kleiderschrank, Fernseher auf einer schmalen Kommode. Ein großes Krankenhausbett, mit einer dunkelblauen Bettwäsche und in seiner Mitte mein Patenonkel. Umringt von den puffigen Kissen wirkte er blass, eingefallen und zerbrechlich. Er schien Fehl am Platz hier zu sein, an einem Ort der nicht sein zu Hause war. Meine Patentante saß auf einem Sessel neben ihm und reichte ihm gerade eine Wasserflasche an.
“Schau Mal Schatz, wer da ist.”, sie deutete in unsere Richtung. Erst jetzt nahm mein Patenonkel uns wahr. Würde er uns noch erkennen? Nach einigen Sekunden begann er zu lächeln. Wir traten einige Schritte näher heran, unsicher wo wir uns platzieren sollten. Ich gab ihm eine kleine Umarmung, doch zog mich schnell wieder zurück. Seine schwindende Kraft machte mir Angst. Wie lange würde er wohl noch hier sein? War er hier glücklich? Wie oft würde ich ihn noch sehen? Wollte ich ihn überhaupt noch sehen? Ich nahm in seinem Rollstuhl an der gegenüberliegenden Wand Platz.
Wir redeten über unser Leben, Uni, Job, was bei uns in der Straße so passiert. Jedes Wort aus seinem Mund brauchte dreimal so lange bis er es ausgesprochen hatte. Sätze blieben in der Luft hängen, Gedanken wurden vergessen.
Die Wunde an meinem Unterarm begann wieder zu jucken. Und ich begann wieder leicht zu kratzen. Immer dann, wenn die Augen der anderen von mir weg gerichtet waren, wenn der Fokus auf meinem Patenonkel lag. In mir baute sich eine Unruhe auf, mein Blick fiel zur Tür. Der Instinkt zu flüchten, raus aus dieser mir unwohlen Situation zu kommen, wuchs von Minute zu Minute.
Nach einer halben Stunde schlief mein Patenonkel ein. Wir verabschiedeten uns und gingen. Irgendetwas Feuchtes lief meinen Arm hinunter und verfing sich im Ärmel meines Pullovers. Bevor wir das Seniorenheim verließen, huschte ich schnell auf die Besuchertoilette. Ich krempelte meinen Ärmel hoch. Eine kleine Blutspur, mittlerweile schon verschmiert und getrocknet, zierte meine Haut. Einsame Fetzen von Kruste klebten noch an meinem Unterarm, doch der Rest war aufgekratzt. Hatte ich das jetzt gerade gemacht? Ich hatte doch kaum Schmerz gespürt?
Schnell machte ich am Waschbecken meinen Arm sauber und ging raus zu meiner Mutter.
“Alles in Ordnung?”, fragte sie.
“Ja klar, alles super Mama.”
© Alina Steffen 2021-04-21