von Gudrun Salzer
6 Jahre auf A3.
„Zeichne deinen bisherigen Lebensweg!“, so lautete der Auftrag im Zuge einer Fortbildung.
Zu dieser Zeit lag ein monströser Felssturz auf meinem Weg. Felsen, Felsen! Nicht als Felsen, die ich nicht allein zur Seite rollen konnte. Beim Klettern war ich zu allem Übel auch völlig talentfrei. Ich trat auf der Stelle. Es gab kein Weiterkommen.
So entschloss ich mich, das unwegsame Gelände am linken Wegrand zu erobern. Und siehe da, ein kleiner Steig offenbarte sich. Der Steig wurde breiter. Ruheplätze und Kraftorte wechselten sich mit unangenehmen Teilstrecken ab.
Der Untergrund stieg steil an. Oben angekommen wurde ich mit einem unbezahlbaren Ausblick belohnt. Der Abstieg, begleitet von Sturm, Hagel und Gewitter, zehrte an meinen Kräften. Im Tal wärmte mich die Sonne und im Wasser schwimmend, fühlte ich mich leicht und befreit.
Ich mäanderte durch die Landschaft. Unzählige Menschen kreuzten meinen Weg. Manche begleiteten mich ein Weilchen, bis sie an einer Gabelung eine andere Abzweigung wählten.
Wegweiser und Hinweisschilder säumten die Straße. Einigen folgte ich, die Übrigen schienen mir bedeutungslos.
Erneut versperrte eine gewaltige Gerölllawine mein Weiterkommen. Doch diesmal kletterte ich trotz vieler Verschnaufpausen darüber hinweg.
Ausrüstung und Technik hatten sich während der Ge(h)zeiten verbessert, verfeinert, automatisiert.
Mein Rucksack war mit dem Notwendigen gefüllt und nie zu schwer. Denn, mit leichtem Gepäck reist es sich besser.
Wer voranschreitet, lässt etwas zurück. Doch mit jedem Schritt schenkt einem der Weg Neues. Unerwartetes. Schönes, Trauriges. Bezauberndes, Grässliches. Einzigartiges.
Meine Reiseroute führte mich auch vom Land ins Wasser.
Das kleine Bächlein plätscherte vor sich hin. Mühelos folgte ich dem seichten Bachlauf. Das Rinnsal schwoll zu einem Fluss an, wild und ungezähmt. Das eiskalte Wasser nagte an meinen Knochen. Vom Ufer aus winkte mir jemand zu und schenkte mir ein Boot.
Die Flussfahrt forderte meine ganze Aufmerksamkeit und Lebensenergie. Mit aller Gewalt kämpfte ich gegen das Wasser. Die Gischtkronen aber flüsterten mir Zauberformeln zu, bis ich mit dem Fluss eins wurde. Ohne Anstrengung glitt ich nun durchs Wildwasser.
Ob zu Wasser oder Land, das Leben hat mir einige wenige Kostbarkeiten geschenkt. Familie, Freunde, Lebenslust.
Und das berufliche Privileg, andere Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten zu dürfen, wenn Unwetter, Steinschläge, Muren, Lawinen und Chaos über sie hereinbrechen.
Gemeinsam räumen wir die Hindernisse aus dem Weg. Bauen Brücken oder Übergänge. Stellen Wegweiser auf. Werkzeug und Hilfsmittel dazu finde ich in meinem Rucksack.
Meine größte Herausforderung dabei bleibt, meinen Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Bei mir zu bleiben. Deshalb blicke ich dann und wann auf meinen Weg zurück. Mit der dankbaren Erkenntnis, dass
… viele Wege zum Ziel führen und…
… Umwege die Ortskenntnis erweitern.
© Gudrun Salzer 2020-02-05