… und diese auch

Elisabeth Winkler

von Elisabeth Winkler

Story

Ich denke auch oft noch an andere Personen, die schon hinübergegangen sind. Zum Beispiel an die Tante meines Mannes, die mich sofort als Nichte akzeptiert und mir schon beim ersten Treffen das Duwort angeboten hatte. Wieder einmal war sie nur für wenige Tage in meiner Stadt. Sie war es gewohnt, täglich spazieren zu gehen. An einem nasskalten Novembervormittag nötigte sie mich dazu, sie zu begleiten. Ich hatte überhaupt keine Lust dazu. Aber ich tat ihr den Gefallen, auch wenn mir die Kälte in die Glieder kroch. Sie wollte nicht allein gehen, und es hatte gerade niemand Zeit außer mir. Aber sie war auch diejenige, die mir später ausdauernd und geduldig zuhörte, als es mir nicht so gut ging.

Oder an die entfernt verwandte Tante Wally, die mir zur Hochzeit eine giftgrüne Tischdecke schenkte und mit stechendem Blick etwas murmelte, das ich nicht verstand. Hatte sie mir soeben gratuliert, oder hatte sie mich verflucht? Später musste ich nur mehr lachen, wenn ich ihr irgendwo begegnete und sie mich in scharfem Ton fragte: „Elisabeth, was machst denn du schon wieder da?!“ Offenbar mochte sie mich nicht. Aber ich war nun einmal da.

Ich erinnere mich an meine andere Oma. Mit zittriger Hand schrieb sie mir einen Brief, als ich gerade viel zu weit weg war, um sie zu besuchen. Ich habe ihn gehütet wie einen Schatz. Sie lächelte immer nur fein, wenn ihr Mann bei einer Feier zwischen den Tischen herumwuselte und mit allen anderen redete – nur nicht mit ihr. Dass er sie über alles geliebt hatte, das begriff ich erst später.

Und ich erinnere mich an Tante Lilly und Tante Martha, beide entfernt mit meinem Mann verwandt. Die eine küsste mich immer, wenn sie mich sah – und das kam von Herzen. Allerdings hörte sie schlecht. Die andere war viel zurückhaltender. Ihr Credo lautete: „Was man denkt, darf man ohnedies nicht sagen.“ Einmal aber tat sie es doch:

Die beiden schauten nur kurz bei mir vorbei, weil sie zum Arzt wollten. Tante Lilly eilte auf mich zu, küsste mich auf die linke und die rechte Wange und strahlte über das ganze Gesicht: „Grüß dich, Lissylein, wie geht’s dir denn?“ Noch ehe ich antworten konnte, sprudelte es weiter aus ihr heraus: „Ich war gerade auf dem Friedhof, und ich hab dir etwas mitgebracht!“ Damit drückte sie mir eine in Geschenkpapier verpackte Schachtel in die Hand. Darauf Tante Martha, die hinter ihr stand: „Brauchst keine Angst haben, es sind eh keine Knochen!“ Als ich zu lachen begann, war Tante Lillys Gesicht ein einziges Fragezeichen. Wahrscheinlich hatte sie Tante Marthas Bemerkung nicht verstanden. Sie schien immer noch ratlos oder vielmehr gekränkt, als ich weiter lachte und nicht aufhören konnte. Aber sie hat mir verziehen. Die Pralinen in der Schachtel haben übrigens hervorragend geschmeckt. Danke, Tante Lilly!

Sie alle liebe ich heute noch. (Auch Tante Wally, was mich selber wundert.) Ich kann ihnen das nicht mehr direkt sagen, nur mit dieser Geschichte.

Denen, die noch auf dieser Welt sind, sage ich es lieber persönlich.


© Elisabeth Winkler 2025-02-17

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Funny
Hashtags