Allein wenn ich einen alten Baum sehe, mächtig und groß, mit seinem dicken Stamm, der manchmal auch von Efeu bewachsen sein mag, dann denke ich, was hat dieser Baum wohl schon alles erlebt? Jahrhunderte sind vergangen. Er war Zeuge von so Vielem, von Kriegern, von Liebespaaren. Und heute stehe ich an seinem Fuße und berühre seine Rinde voller Ehrfurcht. Vogelpaare haben hier genistet, ihre Jungen ausgebrütet und großgezogen. Vielleicht hat sich eine Eule ein Unterschlupf gebaut. Eichhörnchen haben ihre Wintervorräte aufgestockt. Rehe am Boden Eicheln gefunden und sich daran gestärkt. Nicht zu viele auf einmal. Andere neue Bäume sind gewachsen, neues Leben ist entstanden. Der ewige Kreislauf. Alles ist normal. Geburt, wachsen, erleben, erleiden, erfreuen, wachsen, auch endlich einmal zufrieden sein, vorsorgen für die Familie, etwas hinterlassen, sich verabschieden, sterben, wieder in den Kreislauf des Lebens zurückkommen, das ewige Leben geschenkt bekommen. Wie oft wohl inkarniert eine Seele, bis sie in der Unendlichkeit, der Ewigkeit, bleiben darf? Manche Antworten bleiben uns verborgen. Gut so.
So wie heute der Geburtstag meiner Mutter gewesen wäre, so gibt es wohl jeden Tag einen Geburtstag der Ahnen. Meine Mutter kannte ich ja persönlich, die meisten Vorfahren leider nicht.Mich beschäftigt, was sie wohl alles erlebt haben mögen.Nun denke ich an meine Ahnen, meine Uroma, Anna Starogardzki. Aus Filehne, im heutigen Polen, kam sie, mit ihren drei Kindern nach Berlin-Wilmersdorf, nahe dem Volkspark. In der Wilhelmsaue war ihr erstes Quartier. Ihr Ehemann und auch ihr Vater waren im 1. Weltkrieg gefallen, wie man das nannte. Sie waren Dachdecker. Ausgezeichnete Arbeit sollen sie geleistet haben. Eine Tante erzählte, dass sie das Rathausdach in Stralsund gedeckt hatten. Das habe ich mir mal angesehen. Sie müssen exzellent gewesen sein. Jedenfalls ist es erstaunlich, dass ich nach über einhundert Jahren noch davon berichten kann. Ja, ich glaube es ist wichtig, dass ich ab und zu an meine Vorfahren denke. Sie haben schließlich den Weg auch für mein Leben bereitet. Was haben sie nicht alles erlebt! Zu gern wüsste ich mehr.
Es ist unvorstellbar, dass ausgerechnet wir geboren wurden. Unter Millionen Spermien und Eizellen, haben ausgerechnet wir es geschafft. Motivationstrainer beteuern: Als Gewinner sind wir auf die Welt gekommen! Ich sollte öfter daran denken, es nicht vergessen. Mein Leben ist ein Geschenk.Nur empfinde ich es an manchen Tagen nicht so.Das, was ich alles erlebt habe, und noch erleben werde, passt in mehrere Leben.
All meine Ahnen haben im Prinzip auch für mich gelebt, damit es gut weitergeht!Sie hatten Überlebensstrategien entwickelt, die auch wirklich funktioniert haben. Sie haben gelebt und überlebt. Sie hatten Verantwortung für ihre Familien getragen, und haben es gut gemacht. Sie sind meine Vorbilder.An sie will ich immer denken, wenn ich Probleme habe.Ich gehöre zu ihrer Familie.
© Martina Hammond-Bund 2021-04-07