von Alamon
Es war ein kühler und verregneter Freitag im Oktober – von meiner damals großen Liebe habe ich seit 3 Monaten nichts gesehen und gehört. Ich wusste nur, dass sie wohl zu Verwandten in die Schweiz gebracht wurde, nachdem sie zuvor in der Türkei war – von dort habe ich auch das letzte Lebenszeichen erhalten, als sie mir heimlich und von einem fremden Account etwas geschrieben hatte.
Es war eine Zeit in der ich mich komplett aufgegeben hatte und nur noch für diese eine Sache lebte. Wir waren jung und wir waren naiv – so naiv… Immerzu hatte ich dieses Bild der perfekten Beziehung, mit der perfekten Frau im Kopf. Was wäre das für eine schöne und aufregende Geschichte die wir unseren Kindern erzählen könnten. Das Leben sollte mich erst später lehren, dass nichts perfekt ist.
An diesem Freitag sollte unsere Geschichte nun um ein weiteres Kapitel bereichert werden. Ich saß im Büro und mein Handy vibrierte – sie war es! Von einer Sekunde auf die andere stieg mein Puls ins unermessliche und mein Herz klopfte mir bis zum Hals – an Arbeit war nicht mehr zu denken. Wir schrieben über mehrere Stunden, immer wenn sie konnte. Sie erzählte mir was passierte – sie wurde in der Türkei mit ihrem Cousin verlobt/verheiratet und dieser soll in einigen Monaten zu ihr in die Schweiz kommen. Ich versprach ihr sie noch heute dort raus zu holen, doch sie hatte Angst und Zweifel. Ich erzählte meiner Cousine davon, die wie eine Schwester für mich ist und sie ermutigte mich sie zu holen und bot mir an mich zu begleiten.
So war es dann auch, noch am selben Abend – es wurde langsam dunkel – stiegen wir ins Auto und fuhren los, ohne zu wissen was uns erwarten würde. Nach 9 Stunden standen wir am vereinbarten Ort – eine kleine Wohnsiedlung irgendwo in der Schweiz – 3 Uhr morgens. Es war stockdunkel, neblig und eiskalt. Es sollte eine weitere Stunde dauern bis es mir wieder gelang mit ihr Kontakt aufzunehmen, doch dann sah ich sie… 3. Stock, einziges Fenster in dem noch Licht brannte. Sie lehnte sich aus dem Fenster und wir kommunizierten über Handzeichen und Geflüster – Rapunzel lässt grüßen. Ihr Onkel schlief im Wohnzimmer und sie machte sich bereit, packte ein paar Sachen und ich wartete inzwischen mit meiner Cousine im Auto. Eine weitere Stunde des Wartens verging, meine Cousine schlief mittlerweile, eingerollt in eine dicke Decke. Plötzlich Aufregung, „Wach auf, sie kommt!“ schrie ich und Hektik machte sich breit. Wir starteten das Auto und sie lief uns mit Tränen in den Augen entgegen. Keine große Begrüßung, keine Zeit für Gefühle, ab ins Auto und Vollgas Richtung Grenze zurück nach Österreich. Es sollte nicht lange dauern, kamen bereits die ersten Anrufe und Nachrichten ihrer Familie – Beschimpfungen und Morddrohungen auf der Mobilbox – Handys ausgeschalten.
Nach insgesamt 23 Stunden waren wir wieder zurück und kamen für die erste Nacht in einer Jugendherberge unter. Noch am selben Abend machte ich ihr einen Antrag, den sie damals unter Tränen annahm.
Der Rest ist Geschichte…
© Alamon 2019-07-23