von Daniela Noitz
Stundenlang war sie nun durch diesen Wald geirrt. Noch war sie nicht so weit sich einzugestehen, dass sie sich verlaufen hatte, noch hatte sie die Kraft weiterzugehen. Stur, ja, das war sie, stur und uneinsichtig. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. UnzĂ€hlige Male bereits war sie durch diesen Wald gegangen und meinte, sie kenne ihn wie ihre eigene Westentasche, jeden Weg, jeden Baum, jeden Stein. UnzĂ€hlige Male war es ihr bereits gelungen, gerade in diesem Wald wieder zur Ruhe zu kommen, ihre Gedanken in Ordnung zu bringen, doch diesmal gelang es ihr einfach nicht. Sie achtete weder auf dem Weg, noch auf die Umgebung, so sehr war sie in ihren Gedanken gefangen. Als sie nach ewig langer Zeit aufsah, wusste sie nicht mehr wo sie war, nur eingestehen konnte sie es sich nicht. Also ging sie den Weg weiter, immer wieder nach links oder rechts sich wendend, weil es ĂŒberall untrĂŒgliche Zeichen zu geben schien, doch wie sehr können wir uns Zeichen einbilden, wenn wir sie sehen wollen. Sie wollte es zwingen. Irgendwie musste es doch gehen. Irgendwie musste ein Weiterkommen möglich sein, ein ZurĂŒckkehren und einfach weitermachen. Nein, das konnte einfach nicht sein, dass sie sich da verlaufen hatte. Immer noch ging sie weiter, bis langsam die DĂ€mmerung einsetzte. Wie lange sie wohl schon so durch den Wald irrte, mit ihrem ganzen Starrsinn? Endlich lieĂ sie sich erschöpft auf einem umgefallenen Baum nieder. Nur kurz wollte sie verschnaufen, denn sie musste doch raus aus diesem Wald bevor es finster wurde. SchlieĂlich war sie ĂŒberzeugt, dass es nicht mehr weit sein konnte. Es konnte einfach nicht. Nur kurz wollte sie ihre Gedanken sammeln und die aufkommende Panik mit Ruhe ĂŒbermalen. Dann wĂŒrde es weitergehen, als sich plötzlich jemand neben ihr niederlieĂ. Sie hatte ihn nicht bemerkt, nicht bemerkt, dass er nĂ€her kam. Erst als er neben ihr saĂ und ĂŒber seine Anwesenheit kein Zweifel mehr möglich war, sah sie auf. âEine ideale Zeit, um im Wald spazieren zu gehenâ, sagte sie unvermittelt. âJa, ich gehe immer um die Zeit. Es ist eine ganz eigene AtmosphĂ€reâ, entgegnete er bestĂ€tigend. âUnd es macht mir auch gar nichts, dass es bald finster wirdâ, fĂŒgte sie hinzu. âNein, mir macht das auch nichts ausâ, gab er zurĂŒck. âIch habe mich auch nicht verirrtâ, sagte sie mit groĂem Nachdruck. âIch auch nicht. Ganz bestimmt nicht. SchlieĂlich kenne ich diesen Wald wie meine Westentascheâ, ergĂ€nzte er. âIch glaube, ich gehe jetzt weiterâ, sagte sie unvermittelt. âVielleicht bleibe ich noch ein wenig sitzen. Es ist ja gerade so schönâ, meinte er. âIch muss jetzt nach Hause gehenâ, bemerkte sie.
âIch werde dann auch bald nach Hause gehenâ, lieĂ er sie wissen.mâBloĂ weiĂ ich nicht wo das istâ, gab sie kleinlaut zu. âSo genau weiĂ ich es eigentlich auch nicht mehrâ, sagte er nachdenklich. âIch habe es, glaube ich, noch nie wirklich gewusstâ, gab sie nun ihrerseits zu. âAber ich habe mich nicht verirrt. Dass wir uns da nicht falsch verstehenâ, betonte er. âNein, verirrt habe ich mich auch nicht, denn verirren kann man sich nur, wenn man weiĂ, woher man kommt und wohin man will. Heimatlose können sich nicht verirrenâ, entgegnete sie leise. âAber wenn wir es schon nicht wissen, so könnten wir doch gemeinsam suchen?â, sagte er bedĂ€chtig.
Und als sie aufstanden, um weiterzugehen, da war alles plötzlich ganz einfach.
© Daniela Noitz 2024-02-06