VERKÜNDIGUNG

Hubert Thurnhofer

von Hubert Thurnhofer

Story
Wien

Schon am Montag hat uns die Zeitung „Österreich“ informiert, dass am Mittwoch Marcel Hirscher in Anwesenheit von 200 internationalen Medien seinen Rücktritt bekannt geben wird. Das Ereignis ist so wichtig, dass der ORF seinen Sendeplan umstoßen muss: „Sendezeiten-Slalom beim ORF wegen Hirscher-Rücktritt“, hat ein humoriger Redakteur in der Zeitung „Heute“ gedichtet. Die geplanten Wahlkampf-Rededuelle müssen demnach um eine Stunde verschoben werden.

Schon jetzt kenne ich die investigativen Fragen der Journalisteninnen aus gegebenem Anlass („Was sagen sie zu unserem Nationalhelden Hirscher?“) und die Antworten von Meinl-Rendi-Edtstadler-Pilz, unisono: „Toll, super, herausragend, grandios.“ Nur der Hofer wird sagen: „Heimat bist du großer Söhne – WIR haben immer gesagt, diese Hymne darf nicht verludern!“ Mit absoluter Sicherheit wird keine Politikerin den ORF darauf hinweisen, dass die Zukunft Österreichs wichtiger ist als die Vergangenheit eines Skistars. Mit Sicherheit wird keine Politikerin die Abschaffung der Steuerprivilegien für Spitzensportler verlangen, die aus einer Zeit stammen, als sich Toni Sailer und Karl Schranz ihre Brettln selbst gekauft und vor der Abfahrt selbst gwaxelt haben. Aber das ist ein anderes Thema.

Hier geht es darum, dass alle Medien glauben (und was alle glauben kann nicht falsch sein!), es habe etwas mit Nachrichten zu tun, ja, es seien sogar absolute Topnachrichten, denen alles andere unterzuordnen ist, wenn Marcel auftritt und uns mitteilt: ich hör’ auf. Die gleichen Journalistinnen, die seitenweise und stundenlang darüber berichten, haben nicht einmal mit einer Wimper gezuckt, als ich gestern die internationale Ausstellung „Parallelaktion Kunst“ eröffnet habe mit der Aussage: wir fangen an! Zwölf Künstlerinnen, die kreativ sind, wichtige Beiträge für die Kultur dieses Landes leisten, sowie eine Galerie, die seit 25 Jahren internationalen Kulturaustausch fördert und außerdem Musikern und Autoren aus der ganzen Welt eine Bühne im Zentrum Wiens bietet – das ist Null und Nichtig! Absolutely No News!

30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer muss man feststellen, dass das DDR-Fernsehen unter der Diktatur des Proletariats weniger konformistisch war, als der sogenannte unabhängige ORF unter der Diktatur der Prominenz. Die Diktatur des Proletariats ist endgültig vorbei. Wie lange noch wird die Mauer der Diktatur der Prominenz den Journalisten den Blick auf die wichtigen Dinge unserer Zeit verstellen? Journalisten informieren über Themen, die relevant sind, heißt es. Relevanz aufgrund von Prominenz? Nicht auch, sondern nur!

Die ZiB2 bringt einen Rückblick auf den Hirscher-Auftritt zum Rücktritt und demonstriert „Ausgewogenheit“ mit der originären Nachricht, dass schon vor Hirscher Skifahrer aufgehört haben. Ganz einfach so. Man darf gespannt sein, ob das eine neue me-too-Wedelwelle auslösen wird. Anmoderiert wurde der Filmbeitrag mit dem Quotenhinweis: „Eine Million haben gestern im ORF zugesehen, wie Marcel Hirscher seinen Rücktritt verkündet hat.“ Verkündet! Die Verkündigung des Evangelisten Marcellus!


© Hubert Thurnhofer 2024-01-15

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