Verstehen Sie, was ich meine?

Clarissa Nguyen

von Clarissa Nguyen

Story

Es war ein Sonntagnachmittag im Café Sonnenschein, dem perfekten Ort, um den Tag ausklingen zu lassen. Ich saß direkt am Fenster. Die Aussicht auf die Altstadt war atemberaubend und rundete den Eiskaffee, an dem ich genüsslich nippte, wunderbar ab. Obwohl der Laden immer gut von vorbeigehenden Eiskäufern besucht wurde, herrschte hier immer eine angenehme Stimmung. Nun gut, heute ausnahmsweise nicht.

„Hm, welches Eis soll ich nur diesmal nehmen?“, murmelte ein kleiner Junge und wandte sich an die Eisverkäuferin. „Wissen Sie, Lea, die mit den lockigen Haaren und den lustigen Frisuren, sagt immer, dass Softeis das Beste und das einzig wahre Eis sei.“

Der Kleine schwieg plötzlich. Stattdessen wackelte er wimmernd hin und her. So wie er dort mit verschränkten Armen stand, sah es so aus, als würde er über eine Sache nachdenken, die ihn sichtlich kränkte. Einer der Anwesenden war kurz davor, den ‚Knaben‘ anzusprechen, ob alles in Ordnung sei. Genau in dem Moment sprudelten die Worte lauthals aus ihm heraus. „Softeis ist doch gar kein richtiges Eis!“ Verzweifelt wandte er sich an die nächstliegende Person: „Verstehen Sie, was ich meine?“

Überfordert nickte dieser langsam. Der Kleine stampfte auf dem Boden. „Endlich versteht das mal einer! Und stellen Sie sich mal vor, nicht mal der Besserwisser Jan hat das kapiert! Bei Lea liegt es, glaube ich, auch einfach daran, dass ihre Eltern totale Hippies sind. Sie trägt nur bunte Blümchenhosen. Und weil das so ist“, er holte tief Luft, „sagt auch Mama, dass ihre Eltern vielleicht Hippies sind. Ich hab Lea auch mal danach gefragt, aber sie hat nur die Augen verdreht und ist weggegangen. Sie hat mir bis heute nicht geantwortet!“

Er starrte angestrengt auf den Boden, wobei er von einem Fuß auf den anderen wippte. „Beim nächsten Mal erzähle ich Ihnen gerne, was ich noch herausgefunden habe! Ich treffe mich aber gleich noch mit Mika, Finn und Max. Deshalb geht es heute nicht.“ Er schüttelte den Kopf. Darüber hinaus stellte er endlich die Frage, worauf schon mittlerweile mindestens acht Menschen – hinter ihm – seit einer ganzen Weile ungeduldig warteten.

„Kann ich jetzt einen Becher voller Schokoeis mit ganz viel Sahne haben?“

Die Verkäuferin lachte und zauberte ihm sogleich das größte Eis, das er je gesehen hatte. Mit leuchtenden Augen bedankte sich der Junge, bezahlte, wünschte allen einen fabelhaften Tag und verließ das Café. Genau in dem Moment, als er an mir vorbeiging, deutete er mit einem breiten Grinsen auf sein Eis. Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Irgendetwas hatte der kleine Junge an sich, dass man ihn einfach liebhaben musste, auch wenn er jedes Mal die Leute in der Warteschlange auf sich warten ließ.

Also rief ich ihm zu: „Bis bald, Phil!“ Phil nickte mir kurz zu, verabschiedete sich freudig winkend noch einmal von allen Anwesenden, die erleichtert ausatmeten oder ihm lachend zurückwinkten. Und wer weiß, vielleicht würden wir uns schon morgen hier wiedersehen, mit einer neuen Geschichte von Phil.


© Clarissa Nguyen 2023-08-31

Genres
Romane & Erzählungen, Essen & Trinken
Stimmung
Unbeschwert, Reflektierend, Lighthearted
Hashtags