Der muffige Geruch verstĂ€rkt sich, je nĂ€her die HaustĂŒr kommt. Ich arbeite fĂŒr den Sozialdienst. Es ist Freitag Nachmittag und ich komme mit dem Motorrad zum Erstbesuch. Der Geruch zwingt mich, durch den Mund zu atmen. Als sich die TĂŒr langsam öffnet, erscheint im TĂŒrrahmen ein einzelnes nacktes , sehr langes Bein, eine dreckige Unterhose und mein Kopf ist beinahe im Nacken angelangt, da erblicke ich ĂŒber dem Unterhemd RĂŒbezahl! Einbeinig! Wir fixieren uns unglĂ€ubig. Seine rötlichen Haare stehen in alle Richtungen. Er sieht eine kleine Frau im Lederdress. Nach der ersten Schreckminute stelle ich mich vor und er lĂ€Ăt mich eintreten. Er öffnet die HaustĂŒre nur einen Spalt. Links hinter dem Eingang ist eine TĂŒr und rechts eine MinikĂŒchenzeile. Danach beginnt der Wohnraum. Durch das Fenster scheint die Sonne. AuĂer einem Bett und einem Sessel ist der Raum leer. An den WĂ€nden stapeln sich BĂŒcher. Vom Boden bis zur Unterseite der Fenster. An der anderen Wand bis zur Zimmerdecke. Eine Pizzaschachtel mit Pizzaresten liegt am Boden. Woher der penetrante Geruch kommt, kann ich nicht erkennen. Er bietet mir den Holzstuhl an und setzt sich auf die Bettkante. Ich erklĂ€re ihm meine Aufgabe und er hat keinerlei EinwĂ€nde, als ich ihm vorschlage, einmal pro Woche zu kommen und mit ihm die Wohnung zu sĂ€ubern. Dann hĂ€tten die Beschwerden der Nachbarn ein Ende. Ich suche immer einen Weg zum Wiederkommen. Nur so kann Vertrauen entstehen und eine passende Hilfe gefunden werden. Wir plaudern ein bisschen und er ist begeistert, dass ich mit dem Motorrad fahre. Ich frage ihn vorsichtig nach seinem Tagesablauf und versuche, nicht auf das Bett zu starren. Dann halte ich es nicht mehr aus. âSchlafen sie auf dem Brett mit der MilitĂ€rdecke? Wo sind Matratze und Bettzeug?â
âDas Leben ist weniger mĂŒhsam ohne BettwĂ€sche. â An das Brett habe er sich gewöhnt. âDas ist auch gesund, â meinte er. âUnd der Geruch kommt vom MĂŒll,, sagt er plötzlich. âVon welchem MĂŒll?â Er hat vorĂŒbergehend den Mull in der Dusche abgestellt. Ich darf die DuschtĂŒr öffnen. Die Duschkabine ist vollgestopft mit MĂŒllsĂ€cken. Er starrt mir angriffslustig ins Gesicht. Als ich ihn so betrachte, wird mir klar, dass er den MĂŒll nicht entsorgen wird. Meinen Auftrag werde ich nicht erfĂŒllen können. Kampflos will ich nicht aufgeben :â Aber eine Dusche wĂ€re doch bestimmt angenehm. â
Er nÀhert sich langsam. Wenn er sich bewegt, nimmt er den Holzsessel als Gehhilfe.
âZuerst muss ich den MĂŒll aus der Dusche holenâ, meint er, ohne zu lĂ€cheln. â
Wir könnten das gemeinsam erledigen â. Er tritt ganz nahe zu mir, zu nahe, und seine Stimme klingt plötzlich bedrohlich: âEs ist mein MĂŒll! Meiner! Der geht sie nichts an. Raus hier!â
Ich verberge meinen plötzlichen Anflug von Angst und hole meine Sachen. Die Visitenkarte liegt auf dem Stuhl: â Sie können mich jederzeit anrufen. â Beim Verlassen der Wohnung bemerke ich weitere MullsĂ€cke hinter der EingangstĂŒr. Ich werde wieder kommen mĂŒssen. Mit einer neuen Strategie.
© Kornelia Fussenegger 2022-03-02