Viel Glück, meine liebe Tochter!

Es war dein Einschulungstag. Deine Mutter und ich hatten uns etwas schick gemacht. Schließlich würden fast alle Eltern anwesend sein, da wird ja schon gegenseitig Maß genommen. Aber es war ja euer Tag, der Tag der Erstklässler. Für die Eltern hattet ihr alle wenig Augen, alles andere drum herum war ja auch viel spannender. Und laut war es. Sehr laut. Bei etwas über hundert Kinder auch nicht anders möglich.

Es sollte ein vierzügiger Jahrgang werden. Die Klassenzuteilung war noch nicht bekannt, deswegen waren alle auf die folgende Veranstaltung gespannt. Vielen Eltern sahst du schon die Fragezeichen im Kopf schwirren. „Kommt mein Kind mit dem oder mit der in eine Klasse?“. „Ist das da vorne eine Lehrerin?“. „Hoffentlich kommt mein Kind zu der jungen vorne links in die Klasse.“. Schon schrecklich, welch Wettrennen da stattfand.

Eine kleine Vorführung war geplant und die Direktorin sollte eine Ansprache halten. Punkt 08:30 Uhr saßen alle gesammelt in der Aula im obersten Stockwerk. Links und rechts waren die Stuhlreihen, in der Mitte ein Gang von der doppelflügeligen Eingangstür bis zur Bühne. Die Viertklässler hatten ein Programm vorbereitet. Es wurde im Chor gesungen, ein kurzes Theaterstück aufgeführt und die Kameras blitzten. All das, so die Direktorin nachher, würden auch unsere Kinder lernen.

Dann kam die Klassenzusammenstellung. Einzeln wurde jedes Kind aufgerufen und sollte auf die Bühne. Mit Spannung lauschte jeder der Direktorin zu. Die meisten Kinderaugen suchten indes ständig nach den anderen Kindern, die zwischen den Eltern kaum zu sehen waren. Dein Name wurde mit der 1c aufgerufen. Als dann die Klasse komplett war, solltet ihr Kinder eurer neuen Lehrerin in Zweierreihe bis zu eurer neuen Klasse folgen.

Kichernd hielt jede und jeder von euch einem anderen Kind die Hand und die Karawane setzte sich unter der Führung eurer Klassenlehrerin gen Ausgangstür in Bewegung. Kaum einer von euch schaute nach seinen Eltern, alle Eltern aber ihren Kindern hinterher. Ich lächelte dir noch zu, aber du hattest deine Augen woanders. Du zogst mit einer glücklichen Erscheinung an uns vorbei und meine Blicke folgten deinen Schritten . Dann gingt ihr einer nach dem anderen durch die Doppeltür und mich durchzog das Gefühl, dass ihr jetzt in eine neue Welt gegangen wart. In einen ganz neuen Lebensabschnitt.

Es war ein kleiner Schritt für ein Mädchen, aber ein großer für die Kindheit! Viel Glück, meine liebe Tochter!