von ArtAgnan
Jeder Topf findet seinen Deckel. Sagt man. Hm, vielleicht findet auch jeder Deckel seinen Topf. Sei’s drum! Vielleicht braucht mancher Topf keinen Deckel und mancher Deckel will gar keinen Topf.
Wenn ich über diese Redensart nachdenke, dann will sie vor allem Trost spenden. So hat es sich manchmal für mich angefühlt. Ob ich jetzt selbst betroffen war oder nicht. Eine Beziehung geht zu Ende. Die Mutter merkt, dass es dem Sohn nicht gut geht. Oder der Sohn hatte schon ewig keine Freundin mehr. Die Mutter will Trost spenden. „Sei nicht traurig! Jeder Topf findet seinen Deckel.“ Sie könnte auch sagen, dass auf jeden Topf ein Deckel passt. Das Ergebnis ist das gleiche. Unbefriedigende Bestätigung. Hat das schon jemand mal weiter gedacht? Im Topf ist es dunkel, wenn der Deckel drauf ist. Und wer bitte verstaut den Topf mit aufgesetztem Deckel im Küchenkasten. Eben!
Ein anderer legendärer Trostspender ist: „Ach, komm, es gibt so viele Mütter mit schönen Töchtern.“ Ja, eh lieb, hilft nur nichts. Ich kann hier nur als Mann sprechen, keine Ahnung, ob es diesen „Support“ auch im weiblichen Lager gibt. Aber was hilft es dem Single, dass es noch so viele Mütter gibt, die auch schöne Töchter haben. Wo kann der Sohn die Töchter aufspüren, die eventuell passen, also quasi sein Deckel oder von mir aus auch sein Topf sein könnten.
Aber wenn sich zwei finden, dann sollen sie auf Augenhöhe und gemeinsam wachsen. Sie sollen sich gemeinsam entwickeln, sollen einander Raum geben. Khalil Gibran hat dafür ein schönes Bild. So wie die Säulen des Tempels weit auseinander stehen und doch das Dach tragen, so soll auch der Mensch in der Partnerschaft seinen Raum haben.
Für mich ist eine Beziehung „Entwicklung in Arbeit“. Ich habe es immer mit Zweigen verglichen. Vielleicht zwei Zweige Palmkätzchen, vielleicht zwei Zweige eines Rosenstrauchs. Sie sind durch ein Band miteinander verbunden. Es ist ein elastisches Band. Es hat eine leichte Spannung, damit die Zweige die Bindung spüren können, ohne Einschnitte. Es bietet die Möglichkeit, sich gemeinsam und individuell zu entwickeln. Und alles ist möglich. Die Zweige wachsen parallel, schmiegen sich aneinander, bilden Knospen. Und das Band bleibt in einer angenehmen Spannung. Für manche ein Leben lang.
Man weiß ja wirklich nicht, was der nächste Tag bringt. Wenn jeder seinen Freiraum vertrauensvoll nutzen darf, kann dir morgen ein Ereignis einen neuen Impuls, deinem Leben eine neue Richtung geben. Und dann wächst dein Zweig etwas vom anderen Zweig weg, ohne dass du es merkst. Und bewusst auch gar nicht willst. Aber es passiert. Irgendwann fängt das Band an zu spannen. Es ist nicht reißfest. Es ist stabil, aber es hält Spannung nur bis zur Zerreißprobe aus. Und wenn sich zwei Menschen so weit voneinander weg entwickelt haben, dass dieses für beide ehemals kostbare und nun vielleicht hinderliche Band schmerzt, und wenn es dann reißt, was dann?
So gesehen hat letztlich dann doch der Deckel oder der Topf nicht gepasst.
© ArtAgnan 2021-02-03