Einen großen Teil meiner beruflichen Laufbahn haben mich Bekleidungsregeln begleitet. Anfangs viele Jahre verpflichtend, später angeraten, um den entsprechenden Erwartungen von Kunden und Klienten im Hinblick auf Professionalität zu entsprechen.
Der erste Eindruck, den wir von Menschen gewinnen, denen wir zum ersten Mal begegnen, prägt nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern vor allem unsere Einschätzung. Und dieser Eindruck dauert, je nachdem, welche Literatur dazu wir gerade bemühen, ungefähr gerade einmal 0,3 Sekunden. Alles andere, was danach kommt, dient nur noch dazu, diesen Eindruck zu untermauern und zu bestätigen.
Bei Beginn meiner Berufstätigkeit in einer Bank gehörten dazu ein „salonfähiges“ Hemd mit Krawatte, ein Anzug oder ein Sakko mit Hose. Jeans waren damals noch nicht so verbreitet und im Berufsleben absolutes Tabu, auch in Kombination mit Sakkos, was heutzutage ja schon beinahe als elegant gilt.
Weil die meisten meiner Kunden und Klienten später auch so gekleidet waren, habe ich, um vom ersten Augenblick an auf gleicher Ebene akzeptiert zu werden, das beibehalten.
In all diesen Jahren habe ich alle fragwĂĽrdigen Bemerkungen in Sachen „Schlipsträger“ ignoriert und die öden Witze, warum wir Männer Krawatten tragen wĂĽrden (um zu dokumentieren, dass wir nicht mehr von Baum zu Baum hĂĽpfen, weil wir mit Krawatte hängen bleiben und uns strangulieren wĂĽrden) ins Leere laufen lassen.
Lediglich ein Klient, viel später, hat mich befragt, wieweit mein Outfit meiner Einstellung entsprechen würde. Weil er selbst sich leger kleiden und nicht schlechtes Gewissen haben möchte, wenn sein Outfit nicht meinem entsprechen würde. Und ob ich mir vorstellen könnte, auch ohne Krawatte zu unseren Terminen zu kommen.
Ein Hemd zu tragen heiĂźt auch, dass dieses gebĂĽgelt werden muss. Jahrelang musste ich mich darum nicht kĂĽmmern und habe einfach das nächste vom Haken genommen. Eine Zeitlang hat das fĂĽr mich eine treue Seele erledigt, bis sie sich eines Tages mit der AnkĂĽndigung verabschiedet hat, dass sie „in der Knochenboutique mit einem neuen Kniegelenk ausgestattet“ werden mĂĽsste. Inzwischen ist sie leider verstorben.
Seither bügle ich – gut angelernt – meine Hemden selber. Was dazu geführt hat, dass ich vorwiegend Polos trage, die nicht gebügelt werden müssen.
Seit ich „Teilzeit-Ruheständler“ bin, versuche ich, mich am Thema „Krawatte“ vorbei zu schwindeln. Windsor- und Kent-Knoten an der Krawatte schaffe ich, entsprechende Konzentration vorausgesetzt, gerade noch. Ă–fter als ein bis zwei Mal pro Jahr ist das aber nicht der Fall.
Selbst am Arbeits- und Sozialgericht, wo ich ab und zu als Laienrichter tätig sein darf, ist krawattenlos inzwischen fast normal, auch bei Anwälten. Einige Politiker, wie Bundes-Basti und Vize-Werner, dokumentieren täglich im Fernsehen, dass das nicht immer gut aussehen muss. Schon länger bevorzuge ich deshalb Hemden mit Button-down-Kragen.
© Walter Lepuschitz 2021-04-19