„Warum schreibst du?

Heidi Collon

von Heidi Collon

Story

Weshalb tust du das?“ wurde ich gefragt. „Es gibt der Bücher doch so viele, so viele Texte, warum noch einer im endlosen Blätterwald?“

Das Leben wollte es, dass ich eines Tages, um Geld zu verdienen in der historischen Bibliothek eines altehrwürdigen Klosters arbeitete. Ich stand mitten in einem barocken Saal umringt von geschwungenen Holzregalen – mehrere Meter hoch, überall um mich herum Bücher. Ich hielt Bücher in Händen, die mehrere hundert Jahre alt sind, blätterte in Texten der Alchemie und vergilbten Pamphleten. Tausende Gedanken umringten mich, tausende Stimmen vergangener Zeiten flüsterten im Raum. Manche Gedanken waren so zeitlos, dass sie mich durch die Jahrhunderte hindurch berührten, manch andere hingegen sprachen mit der Stimme einer versunkenen Epoche, ließen mich eintauchen in andere Zeiten und erahnen wie Menschen damals dachten.

„Komische Frage,“ meinte eine Freundin und Musikerin zu mir. „Genauso gut könnte man fragen: Warum interpretiert ihr noch Mozart? Auf CD gebrannt gibt es so viele Interpretationen in einzigartiger Qualität. Warum komponiert man noch? Es gibt der Lieder doch so viele.“

Verbindung ist es, die uns vom ersten Herzschlag unseres Lebens lebendig hält, Verbindung ist es, die das Leben lebenswert macht. Der Verbindungsarten gibt es viele. Jeder Mensch, in welcher Form auch immer wir uns begegnen, Musik, Malerei, Text oder Kaffeehaus, er bringt eine Saite in mir zum Klingen. Gemeinsam erzeugen wir einen einzigartigen, besonderen Klang, der auf Nimmerwiedersehen verstummt, sobald einer von uns stirbt. In der Trauer beklage ich den Klang, vermisse den Ton, der so nie wieder mein Ohr berühren wird. Glücklich wer in Texten den Widerhall der geliebten Seele zu hören vermag. Vielleicht ist das der Grund, weshalb durch die maximal mögliche, physische Verbindung hier auf Erden neues Leben entsteht, welche im himmlischen Fall mit einem Orgasmus gekrönt wird. Und der Umkehrschluss: Isolation, Vereinsamung und Abstand sind die Hölle und somit auf lange Sicht todbringend. Wer schreibt, spricht auf eine besondere Art und wer liest hört zu. Jede Zeit, jede Epoche hat ihre eigene Stimme, ihren eigenen Ton. Mozart hört sich heute anders an als gestern. Wer die Wahrheit in Worte zu kleiden vermag, wird durch die Zeiten hindurch gelesen werden, wird den Klang von damals in die Zukunft tragen.

Es ist viele Jahre her da ich jung und frisch auf der Suche nach meiner beruflichen Bestimmung war. In jener Zeit bat ich eine mir bekannte Malerin um Rat. Fotografie war meine Leidenschaft. Allzu gerne hätte ich einen solchen Weg eingeschlagen. Als sie meine Arbeiten anschaute, sagte sie nur: „Du wirst deinen Weg finden und es einfach tun. Es wird dich treiben. Oder eben nicht und dann ist es besser so.“ Verständnislos schaute ich sie an. Zwei Jahrzehnte vergaß ich nie dieses Gespräch. So lange dauerte es bis der Groschen laut und deutlich fiel. Ich veröffentlichte einen Text auf story.one.

© Heidi Collon 2020-09-06

Hashtags