weiße hortensien

Ayleen Rauschenbach

von Ayleen Rauschenbach

Story

Heute erzählte ich ihr über den Märchenerzähler, der ganz oben in meinem Regal stand und ich ihn aus seiner verstaubten Ecke gelesen hatte. Ich erzählte ihr, wie das Ende mich zum Weinen brachte und sie hörte mir einfach zu und summte ab und zu, als ich anfing beim Nicht-Happy-End zu stocken. „Glaubst du, wir haben ein Happy End irgendwann?“, fragte ich sie dann, als ich geendet hatte und auf den blauen Fluss herunterschaute. Das Wasser war so tiefblau, dass ich meine Gedanken in ihnen widerspiegeln sah. Tief sanken diese an den Grund, als hätte jemand einen Stein um sie gebunden. Heute hatte sie mir weiße Hortensien mitgebracht, deren wahre Bedeutung ich aber erst später verstehen würde. „Ich glaube, ein Happy End zu haben ist leicht“, antwortete sie dann irgendwann, als die ersten Blüten von der Hortensie flogen und in den strahlend blauen Himmel wie Luftballons stiegen. Keine Wolke war dort zu sehen und ich fragte mich, ob Wolken sterben konnten und ob sie dann auch ein schlechtes Ende hatten oder ob sie für immer ihren Weg ins Unendliche finden würde?

„Ab wann hat ein Mensch denn ein schlechtes Ende?“

„Wir sterben alle am Ende.“ Sie lächelte leicht, gedankenverloren, als würde sie sich ihr Ende ausmalen voller bunter Blütenblätter. Ich sah in den Himmel, wo eine Wolke langsam in Sichtweite trat. Haruka lächelte sanft und ich wusste, dass sie all den Schmerz der Welt dahinter versteckte. Ihr Vater und Bruder waren beides Jäger, dessen Geschichten mir immer Gänsehaut über den Rücken huschen ließ. Getroffen hatte ich sie nie, aber Haruka hatte zu jedem Menschen eine Erzählung. Manchmal dachte ich, dass Haruka jeden Menschen kannte. Ich dachte, sie war ein Engel, den mir damals jemand sandte, als ich am meisten gesündigt hatte und ich sie nur im Frühling bewundern konnte. Sie war alle vier Jahreszeiten zusammen.

Sie blühte im Frühling, schien im Sommer, verwelkte im Herbst und erblasste im Winter. Denn eine Blume überstand nie alle vier Jahreszeiten und manchmal nicht einmal eine. Blumen waren stark für sich selbst, aber einmal unter Menschenhand, benötigten sie unser Wasser, unserer Erde und unsere Liebe, die ihnen eigentlich auch ohne unsere Hände zustand.

Und obwohl sie so viel Trauer in sich besaß, dass ihre Augen davon trieften, so hatte sie doch einen leichten Schimmer in ihren Augen und ich hoffte, dass dies keine Hoffnung war. Denn diese kam immer nur mit Regen, wessen Tropfen sich in Spinnennetzen verhangen, aber auch diese waren dann wunderschön.



© Ayleen Rauschenbach 2023-08-16

Genres
Romane & Erzählungen, Anthologien