Diese Redewendung war in meinen jungen Jahren Ausdruck dafür, dass einem etwas so was von am A… vorbeiging oder, vornehm ausgedrückt, unwichtig erschien. „Das interessiert mich so viel, wie wenn in China ein Fahrrad umfällt“, so bekundete man beispielsweise sein Desinteresse in eher abfälliger Manier.
Umgangssprachlich drückte man damit die im Westen empfundene Rückständigkeit Chinas aus. Bis in die Neunzigerjahre hatte China noch einen Status als Entwicklungsland. Das Fahrrad war das wichtigste Fortbewegungsmittel der Chinesen.
Dieser Eindruck bestätigte sich bei meiner Chinareise 1995. Unglaubliche Bilder von Straßen, überfüllt mit Radfahrern, versetzten einen in Staunen. Acht Millionen Fahrräder gab es damals in der Elf-Millionen-Stadt Peking. Damit gab es in Peking mehr Fahrräder, als Österreich Einwohner hatte. Dass es vor den Kreuzungen einen Fahrradstau gab, war ebenfalls eine neue Erfahrung. „Krass“ wäre das passende Wort wohl heute dazu.
Für die erste Straßenüberquerung benötigte ich einige Versuche, um die richtige Strategie bei diesem lebensgefährlich erscheinenden Unterfangen zu finden. Vor allem Angst machten die übervoll mit Plastikkanistern bis in schwindelnde Höhen beladenen Fahrräder. Allein die Beherrschung der richtigen Fahrweise musste eine große Herausforderung sein. Den Fahrern sah man dies jedoch überhaupt nicht an. Sie lächelten einen an und traten leichtfüßig, ohne verkrampften Gesichtsausdruck, in ihre Pedale.
70 Fahrräder zählte ich in einer Minute, wohlgemerkt nur in einer Richtung. Die Gegenfahrbahn war wegen des Fahrradgewimmels kaum sichtbar. Als hilfreich für die erste erfolgreiche Straßenüberquerung erwies sich das Studium bei den Einheimischen. Nach einigen Beobachtungen hatte ich den Dreh raus. Einfach losgehen und nicht mehr stehenbleiben, das war die Lösung. Die Fahrradfahrer wichen elegant entweder links oder rechts aus. Halt gemacht hat aber niemand. Das neuerliche Anfahren mit den überladenen Fahrrädern hätte wohl zu viel Kraft benötigt.
Dazu kam noch die chinesische Unsitte des Spuckens. Gehsteige und Straßen sahen aus, als hätte es zu tröpfeln begonnen. Es waren aber keine Regentropfen, sondern Spucke. Für uns Europäer unverständlich, in Peking das Normalste der Welt. „Andere Länder, andere Sitten“, könnte man verständnisvoll argumentieren.
Nun aber wieder zurück zum umgefallenen Fahrrad in China. Wenn dort heute ein Fahrrad umfällt, so spürt es mittlerweile die ganze Welt. Die früher empfundene Rückständigkeit Chinas ist großer wirtschaftlicher und weltpolitischer Bedeutung gewichen. Ohne China läuft in der geopolitischen Welt nichts mehr!
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© Christian H. Moser 2021-02-23