von BettyBraun
Der Aberglaube war der Glaube meiner Eltern und Großeltern. Nur nichts verschrein oder heraufbeschwören. Nur nicht darüber reden. Und wenn doch mal was rausrutscht: auf Holz klopfen. Dreimal.
Krankheit oder gar der Tod waren absolute Tabuthemen aber doch manchmal nicht ganz zu vermeiden. Vor allem das eigene Ableben wurde ungern erwähnt oder gar in Erwägung gezogen. „Also, wenn mal was ist…“, habe ich als Kind oft gehört und es hat mich stets verwirrt. Lange habe ich nicht verstanden, was gemeint war. Ich bekam Wünsche und auch strikte Anweisungen für den Fall: „wenn mal was ist…“ Ja was denn? Und wenn mal was ist, was ist dann und was ist danach?
Heute muss ich über die Umschreibung des Sterbens schmunzeln. Und doch habe ich das Gefühl, der Tod wird heute noch mehr verleugnet als Generationen davor, wenn auch nicht mehr so offensichtlich. Früher wurde man alt und dann: ist es halt passiert. Heutzutage wird man gar nicht mehr alt. Also nicht öffentlich und offiziell und für alle sichtbar. Alter und Gebrechlichkeit wird organisiert weggesperrt und zu Tode gepflegt. Damit nichts stört im durchgetakteten, ewig aktiven, fitten, jugendlichen Alltag. Wir machen uns keine Gedanken mehr „wenn mal was ist…“. Es ist einfach nicht, darf nicht sein, es wird nicht akzeptiert oder einfach so hingenommen.
Ich habe meine Freundin erlebt, die alles medizinisch Mögliche in Gang gesetzt hat, um ihren über 80-jährigen Vater nach einem erfüllten Leben in Frieden und Wohlstand, am Gehen zu hindern. Als das Unausweichliche doch endlich passieren durfte, hat sie sich monatelang Vorwürfe gemacht, nicht alles versucht zu haben und hat aus ihrer Trauer und Verzweiflung lange nicht herausgefunden. Ich weiß, ich urteile leichtfertig, da es nicht mein Vater war. Aber ich hätte meiner Freundin gerne gesagt: „Es war halt was, was Natürliches, Logisches, Gutes und Erlösendes.“ Aber das hab ich mich natürlich nicht aussprechen getraut. Warum? Weil wir alle es nicht hören wollen. Dass wir alle alt, krank und schließlich tot sein werden. Und je älter wir werden, desto weniger wollen wir es gesagt bekommen. Also, wenn mal was ist, werden wir uns schon darum kümmern. Und bis dahin lassen wir es uns gutgehen.
© BettyBraun 2024-10-03